Điều bất hạnh nhất đối với một con người không phải là khi không có trong tay tiền bạc, của cải, mà chính là khi cảm thấy mình không có ai để yêu thương.Tủ sách Rộng Mở Tâm Hồn
Bằng bạo lực, bạn có thể giải quyết được một vấn đề, nhưng đồng thời bạn đang gieo các hạt giống bạo lực khác.Đức Đạt-lai Lạt-ma XIV
Người hiền lìa bỏ không bàn đến những điều tham dục.Kẻ trí không còn niệm mừng lo, nên chẳng bị lay động vì sự khổ hay vui.Kinh Pháp cú (Kệ số 83)
Sự kiên trì là bí quyết của mọi chiến thắng. (Perseverance, secret of all triumphs.)Victor Hugo
Chúng ta trở nên thông thái không phải vì nhớ lại quá khứ, mà vì có trách nhiệm đối với tương lai. (We are made wise not by the recollection of our past, but by the responsibility for our future.)George Bernard Shaw
Nếu muốn người khác được hạnh phúc, hãy thực tập từ bi. Nếu muốn chính mình được hạnh phúc, hãy thực tập từ bi.Đức Đạt-lai Lạt-ma XIV
Khi thời gian qua đi, bạn sẽ hối tiếc về những gì chưa làm hơn là những gì đã làm.Sưu tầm
Thành công là khi bạn đứng dậy nhiều hơn số lần vấp ngã. (Success is falling nine times and getting up ten.)Jon Bon Jovi
Một người trở nên ích kỷ không phải vì chạy theo lợi ích riêng, mà chỉ vì không quan tâm đến những người quanh mình. (A man is called selfish not for pursuing his own good, but for neglecting his neighbor's.)Richard Whately
Nếu bạn nghĩ mình làm được, bạn sẽ làm được. Nhưng nếu bạn nghĩ mình không làm được thì điều đó cũng sẽ trở thành sự thật. (If you think you can, you can. And if you think you can't, you're right.)Mary Kay Ash

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Tiếp kiến đức Đạt-lai Lạt-ma - Chương IV. Những ngày tại Schneverdingen miền Bắc nước Đức

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Die Ost-West-Teilung, welche die ordnungspolitische Differenz der Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg zum Ausdruck brachte, brachte auch für Deutschland eine Teilung des Landes in Übereinstimmung mit den Einflußsphären der Siegermächte, die auch in Vietnam zu einer ähnlich begründeten Teilung des Landes seit 1954 führte.

Ostdeutschland wurde kommunistisch und seit 1949 zum Staat der DDR, der bis 1989 ein Satellit der heute schon nicht mehr existenten Sowjetunion geblieben ist, so wie auch Nordvietnam bis 1990 zur Einflußsphäre der Sowjetunion zählte. Westdeutschland, ab 1949 der Staat der BRD, entwickelte sich in Übereinstimmung mit dem ideologischen System der sog. Westmächte wie auch Süd-Vietnam ab 1954, also nach der französischen Niederlage, bis 1975 in die Einflußsphäre der USA geriet. Die amerikanische Niederlage in Vietnam brachte auch den Süden Vietnams am 30. April 1975 in die Hände der Kommunisten. Seit 1975 ist Vietnam zwar wieder vereint, es wird aber nicht mehr demokratisch regiert. In Deutschland ist das Gegenteil passiert, die demokratische Verfassung der BRD ist nämlich nach der Wiedervereinigung auf den Gesamtstaat übertragen worden. Im Herbst 1989, nach dem Fall der Berliner Mauer, wurde Deutschland also wieder vereinigt. Im Unterschied zu Vietnam kam hier die Wiedervereinigung auf friedlichem Wege zustande und nicht als Ergebnis eines jahrzehnte währenden Krieges. Dass Deutschland demokratisch geworden ist, hing als historisches Ereignis nicht zuletzt mit dem Zusammenbruch des sog. Ostblocks zusammen, und wurde damit auch ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung.

Die Zeit des Eisernen Vorhangs ist vorbei. Ost und West stehen heute nicht mehr in unmittelbarer Konfrontation wie damals in den 60er, 70er und 80er Jahren. Die Menschheit hat heute einen anderen Weg eingeschlagen. Es ist der Weg der wirtschaftlichen Konkurrenz. Jedes Land versucht, wirtschaftlich stark zu werden, um die Entwicklung im Lande voranzutreiben. Auf dieser Erde wohnten zu Beginn des 20. Jahrhunderts 2 Milliarden Menschen. Nun sind es zu Beginn des 21. Jahrhunderts bereits mehr als 6 Milliarden. Wenn die Zahl der Geburten nicht abnimmt, dann werden die Menschen eines Tag ihr Überleben nur durch Kriege sicherstellen können, da die Resourcen immer knapper werden. Dies sind Fakten, die den Humanwissenschaftlern und Sozialforschern Kopfzerbrechen bereiten.

Der Norden Westdeutschlands stand bis 1949 unter britischer Militärverwaltung, das mittlere Westdeutschland stand unter französischer und der Süden unter amerikanischer Verwaltung. Schneverdingen liegt im Norden Deutschlands und gehörte damals zur britischen Besatzungszone. Die Medien haben anläßlich des Besuchs Seiner Heiligkeit in Schneverdingen und der damit verbundenen Veranstaltungen folgendes berichtet: Eine Militärkaserne wurde in eine riesige Gebets- und Versammlungshalle verwandelt, damit in ihr Buddhalehre über den Frieden gepredigt werden konnte. Dies war eine der schönsten Veranstaltung in der deutschen Geschichte.

Das Team, das diese Veranstaltung organisierte, hatte eine riesige Zeltstadt entstehen lassen. Alle Veranstaltungen fanden in den Zelten statt, so auch die Lehrunterweisungen, Konferenzen, Mahlzeiten. Auch die Schlafplätze, Sanitäreinrichtungen und Bücherläden waren in Zelten untergebracht. Veranstalter war das Tibetische Zentrum in Hamburg unter der geistigen Leitung vom Hochehrwürdigen Geshe Thubten Ngawang. Nach Schneverdingen kamen verständlicherweise wenige Tibeter, die meisten Besucher und Teilnehmer waren Deutsche. Das Tibetische Zentrum existiert seit mehr als 20 Jahren. Es wurde 1977 gegründet. Nach 20 Jahren hat diese Vereinigung zwei wichtige Zentren in Hamburg und in Schneverdingen errichtet. Die Zahl seiner Mitglieder nimmt stetig zu, was es in der Tat zu einem der bedeutenden tibetisch-buddhistischen Zentren in Deutschland macht. In Deutschland gibt es heute mehr als 200 buddhistische Zentren. Baumann gibt in seiner Dissertation „Deutsche Buddhisten“ eine Zahl von mehr als 400 deutschen buddhistischen Tempeln und Zentren an. Diese Zahl ist nicht gerade klein, wenn man die kurze Entwicklungszeit des deutschen Buddhismus in Deutschland berücksichtigt.

Auf dem Gelände, auf dem die Veranstalter die Zeltge aufgebaut hatten, konnten sogar Hubschrauber landen. Es gab auch Parkplätze für bis zu 10.000 Autos. In der Mitte des Geländes stand das große Zelt, dessen Länge ca. 250m und deren Breite ca. 75 Meter war. Bis zu 10.000 Menschen konnten in ihm finden. Um das große Zelt reihten sich noch weitere kleinere Zelte. Diese Zelte standen u. a. den Mönchen, Nonnen und Buddhisten als Speisesäle zur Verfügung. In anderen Zelte wurden Bücher und Reisen angeboten und natürlich auch Informationen über das tibetisch-buddhistische Zentrum in Hamburg. Den Zelteingang krönten Bilder über die historisch „Erste Drehung des Dharmarades“. In den kleineren Zelten, gab es Tische und Bänke, in dem großen Zelt nur einen Sitz auf einem Podest, von dem aus Seine Heiligkeit die Lehrunterweisungen erteilte. Daneben gab es einen großen Buddha-Altar und eine große Holztrage. Auf dieser Trage haben die tibetischen Mönche während der Veranstaltung ein Avalokiteshvara Mandala aufgestellt. Vor dem Podest saßen die Ordensleute. Zu den Plätzen des Publikums hin blieb der Raum frei. Dort standen Stühle für die Ehrenplätze der eingeladenen Politiker und Vertreter anderer Religionsgemeinschaften. Die übrigen Zuhörer saßen auf den Boden. In der Mitte des Zeltes war eine große Leinwand angebracht zur Live-Übertragung des Ereignisses. Ohne dieses Hilfsmittel hätten viele Besucher von dem Geschehen nicht mit bekommen.

Das Wetter war in dieser Veranstaltungswoche leider schlecht. Man war sogar besorgt, dass ein Sturm aufkommen könnte, der die Zelte wegfegen würde. Die Zuhörer wurden auf den Eventualfall vorbereitet. Glücklicherweise ist es bei dem Regen geblieben, der allerdings den Boden so aufgeweicht hatte, dass man in ihm zu versinken drohte. Die Vietnamesen können von den Deutschen Organisation, Technik und Gewährleistung sanitärer Standards noch lernen. Es war alles perfekt und der Einsatz jedes einzelnen Organisationsmitglieds kann nur gelobt werden. Wenn die Vietnamesen so eine vergleichbar große Veranstaltung, mit mehr als 10.000 Besuchern veranstalten müßten, die ebenfalls 10 Tage dauern sollte, dann würden sie es nicht so leicht haben, alles sauber zu halten. Mehr als 800 freiwillige Mitarbeiter hatten bei dieser Großveranstaltung mitgewirkt und ihr Verantwortungsbewußtsein war bemerkenswert. Sie arbeiteten ohne Lohn. Nach Abschluß der Veranstaltung wurde die Kosten auf 3 Millionen DM beziffert. Diese Summe ist wirklich gewaltig. Das ist allein die materielle Seite des Ganzen.

Die geistige Dimension muß mit anderen Maßstäben gemessen werden. Trotz der großen Besucherzahlen herrschte im großen Zelt immer Stille. Während der 6-tägigen Veranstaltung gab es keine einzige Lärmbelästigung. Jeden Tag gab Seine Heiligkeit vormittags zwei bis zweieinhalb Stunden Unterricht in der Buddhalehre. Nachmittags dann nochmals drei Stunden. Das waren also fünf bis fünfeinhalb Stunden pro Tag. Alle hörten aufmerksam zu. Man konnte sogar den Atem des Nachbarn hören. So erstaunlich still war es im Zelt.

Das zentrale Thema der Unterweisung war: Buddhas Weg zum Glück. Tatsächlich hat Seine Heiligkeit sechs Tage lang das Lamrim erläutert. Seine Heiligkeit fing einfach an und steigerte die Komplexität des Vortrags zum Ende hin, so dass der Nachvollzug immer schwerer wurde. Er begann mit der Lehre des Hinayana, fuhr fort mit der des Mahayana und des Vajrayana und schloß ab mit der Lehre der Barmherzigkeit des Avalokiteshvara Bodhisattva.

Jeden Tag begann Seine Heiligkeit um 7:30 Uhr zusammen mit den anwesenden tibetischen Mönchen mit der Morgenrezitation. Nach einer kurzen Pause ging es weiter mit dem ersten Programm des Tages. Wenn immer Seine Heiligkeit den Gebetsraum betrat, schaute Er alle Mönche, Nonnen und Buddhisten an. Danach machte Seine Heiligkeit 3 Niederwerfungen nach tibetischer Tradition. Anschließend bestieg Er den Thron und begann mit dem Morgengebet und der Dharmaunterweisung. Seine Heiligkeit unterwies in englischer meistens aber in tibetischer Sprache.

Für die deutsche Übersetzung war Herr Christoph, ein deutscher Buddhist, zuständig. Herr Christoph wurde vor 14 Jahren in der Kloster-Pagode Vien Giac, anläßlich der Begegnung mit einem berühmten Rimpoche aus Indien, ordiniert. Dieser Rimpoche soll auch einer der vier Lehrmeister von Seiner Heiligkeit gewesen sein. Er ist mittlerweile schon verstorben.

Vor vier Jahren habe ich erfahren, dass Herr Christoph die Mönchsrobe wieder abgelegt hat. Er lebt jetzt mit einer deutschen Sekretärin, die für die Herausgabe der Zeitschrift „Tibetischer Buddhismus“ zuständig ist. Darüber war ich nicht überrascht, denn alle Dinge auf dieser Welt sind vergänglich. Sie unterstehen dem Gesetz von Ursache und Wirkung. Wenn wir dieses Gesetz verstehen, ist unser Geist immer rein und ruhig. Herr Christoph hat sehr flüssig aus dem Tibetischen ins Deutsche übersetzt. Vom Deutschen wurde dann in viele anderen Sprachen weiter übersetzt, z.B. ins Englische, Französische, Spanische, Italienische, Polnische, Russische, Vietnamesische etc.. Insgesamt wurden die Belehrungen in 8 Sprachen übersetzt. Man trug einen Kopfhörer und konnte die entsprechende Sprache, in der man dem Vortrag folgen wollte, wählen. Zu der Veranstaltung kamen Buddhisten aus 54 Nationen. Hanh Tan war für die vietnamesische Übersetzung zuständig. Er übersetzte manchmal direkt aus dem Tibetischen aber auch aus dem Englischen oder Deutschen.

Am Nachmittag des 25.10.1998 bin ich mit 20 Ordensleuten aus der Congregation der Vereinigten Vietnamesischen Buddhistischen Kirche, Abteilung in Deutschland, in Schneverdingen angekommen. Wir waren als Ehrengäste vom Tibetischen Zentrum Hamburg eingeladen worden und durften deshalb vorne in der ersten Reihe, direkt vor Seiner Heiligkeit, sitzen. Mein Sitzplatz wurde von der Organisationsleitung neben dem vom Geshe Thubten Ngawang, dem Vorsitzenden des Tibetischen Zentrums, zugewiesen. Doch der Geshe war zu beschäftigt und mußte den Platz wechseln. Von der ersten Reihe aus konnte ich Seine Heiligkeit gut betrachten, ihm die Hand geben und Photos von ihm machen. Für mich war das eine große Ehre.

Das Tagesprogramm war für alle 7 Tage gleich strukturiert. Lediglich am ersten und am letzten Tag gab es zusätzlich noch weitere Programmpunkte. Diese bestanden aus der Eröffnungs- und der Abschlußzeremonie. Das Tagesprogramm gestaltete sich folgendermaßen:

07:30 Uhr Morgenrezitation für Seine Heiligkeit und die tibetischen Ordensleute.

09:00-11:30 Unterweisung in die Buddhalehre bzw. Beantwortung der Fragen von den Zuhörern.

11:30-13:00 Pause, Mittagessen. Zeit für Einkaufsrundgang und Besichtigung der Buddha-Statuen etc.

13:30-16:30 Dharmaunterweisung mit kurzer Pause. Danach kehrten einige in ihre Hotels zurück.

18:30 Kulturabend nach tibetischer Tradition. Die Teilnahme an dieser Veranstaltung war frei. Die Zuhörer konnten daran teilnehmen oder in ihren Hotels bleiben. Der vietnamesischen Delegation wurde ein Ferienhaus zugeteilt das ca. 20 Autominuten vom Veranstaltungsort entfernt war. Wir hatten dort unser Frühstück und Abendessen. Mittags wurde uns das Essen in einem Zelt am Veranstaltungsort serviert. Es war das erste Mal, dass ich an einer siebentägigen Dharmaveranstaltung dieser Art teilnahm. In den folgenden Zeilen möchte ich kurze über diese sieben Tage berichten.

Der erste Tag :

Der Himmel klarte am 26.10.1998 auf. Am Vortag hatte es schon geregnet. Die Besucher trafen langsam in der Zeltstadt ein, nachdem sie in ihren Hotels oder sonstwo gefrühstückt und übernachtet hatten. Viele kamen sich wie verloren vor; denn es war schließlich der erste Tag. Sie folgten einfach den Hinweisschildern und fanden so den Weg zum Veranstaltungsort. Den starken Verkehr regelte die Polizei, um Staus zu vermeiden.

Punkt 10 Uhr des 26. Oktobers 1998 stellten sich sehr viele Reporter und Kameraleute mit ihren Gerätschaften im Hauptzelt ein. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde während der Eröffnungszeremonie zu Ehren Seiner Heiligkeit ein Gedicht von Herrn Weizsäcker vorgetragen, einem bekannten Physiker und Freund Seiner Heiligkeit, dem Bruder des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten. Danach folgten die Gedichte des evangelischen Landesbischofs und des Vorsitzenden der tibetisch-buddhistischen Vereinigung. Sie priesen Seine Heiligkeit und bedankten sich bei den freiwilligen Mitarbeiten und den Zuhörern.

An diesem Morgen hatte Seine Heiligkeit noch nicht mit der Dharmaunterweisung begonnen. Er begrüßte die Mönche, Nonnen und Buddhisten und hieß sie herzlich willkommen. Es folgte großer Beifall. Alle Blicke richteten sich nach vorne, voller Sehnsucht auf das Dharma. Sie alle erhofften etwas Gehaltvolles mit nach Hause nehmen zu können, als Wegzehrung für ihren Erleuchtungsweg. Die Medien hatten sehr positiv über den Buddhismus und die Dharma-Veranstaltung berichtet. Dies hatte auch einen sehr guten Einfluß auf den Buddhismus in Deutschland. Die Zeitungen brachten positive Schlagzeilen über die Dharmaveranstaltung in Schneverdingen und weckten so das Interesse ihrer Leser.

Der Bürgermeister von Schneverdingen hielt eine Rede und gab sich sehr erfreut darüber, dass die Dharmaveranstaltung in seinem Dorf stattfand. Schneverdingen hat eine Bevölkerungsdichte von nur 1/3 der Besucher der Dharmaveranstaltung. Er war sehr erfreut darüber, dass seit dem Auszug der britischen Armee zum ersten Mal wieder so eine große Veranstaltung in Schneverdingen stattfand. Die Teilnehmer applaudierten.

Anläßlich der Dharmaveranstaltung von Seiner Heiligkeit wurde ein Buch mit dem Titel „Gesang der inneren Erfahrung, die kurze Darstellung des Stufenpfades zur Erleuchtung“, vom Geshe Tsongkhapa herausgegeben. Das Buch wurde aus dem Tibetischen ins Deutsche übersetzt und an die Zuhörer verteilt. Das Buch gibt eine kurze Darstellung der Lehre. Seine Heiligkeit war aber bei seinen Unterweisungen viel ausführlicher.

Um 13:30 Uhr, nach der Mittagspause, kam Seine Heiligkeit ins Zelt mit einem gelben Ober-Gewand. Das unterliegende Gewand war in Bordeaux, dass glatt gebügelt war. Die tibetischen Mönche trugen auch Gewänder, die aus 5, 7, 9 bis zu 25 Stoffteilen zusammengenäht waren, ganz so wie es im Mahayana üblich ist. Tibetische Mönchsgewänder sind kürzer als die aus China oder Vietnam. Sie sind jedoch länger als die aus Japan und Korea. Seine Heiligkeit trug auch Gewänder nach der Tradition des Theravada, d.h. die rechte Schulter blieb frei und das Obergewand überlappte das Mittelgewand. Auch das Untergewand trug Seine Heiligkeit wie die Mönche der Theravada Tradition. Nur hatte es eine andere Farbe. Die Mönche der Theravada Schulen tragen alle drei Gewänder mit derselben Farbe. Die tibetischen Mönche tragen ihr Obergewand mit einer anderen Farbe als die der Mittel und Untergewänder, wenn sie nach draußen gehen. Tibet wurde stark von Indien beeinflußt und deshalb tragen die tibetischen Mönche Gewänder, die denen der indischen Mönche ähneln. Vietnam, China, Japan und Korea liegen weit weg von Indien und haben deshalb ihre eigenen landesspezifischen Trachten.

Bevor Seine Heiligkeit mit der Dharmaunterweisung begann, bereiteten seine Schüler vor ihm eine Matte aus, damit Er drei Niederwerfungen ausführen konnte. Die Matte wurde danach wieder weggeräumt. Diese Matte war zweifarbig und viereckig und hatte die Maße von 70 x 70 cm. Seine Heiligkeit hält es für wichtig den Dharmathron mit Niederwerfungen zu ehren, denn von dort aus wird die Lehre des Buddha verbreitet. Das Podest von Seiner Heiligkeit ähnelt einem Thron. Vorne ist eine Ablage, in der Mitte ist die Sitzfläche und hinten ist eine hohe Rückenlehne. Zur rechten Armlehne befindet sich ein kleiner Behälter mit Weihwasser. Auf der linken Seite befindet sich eine kleine Treppe mit einigen Stufen, die zum Thron führen.

Dieser Brauch, einen Dharmathron zu errichten, wird heute in vielen buddhistischen Ländern gepflegt. In Japan ist das Dharmapodest ein Tisch, der höher als die anderen Tische ist. Der Dharmalehrer sitzt auch auf den Boden auf ein großes Kissen. Das Dharmapodest in Korea hängt in der Luft und wird bei Gebrauch heruntergelassen. Der Dharmalehrer besteigt dann das Podest, und unterweist die Menschen in der Buddhalehre. Die Zuhörer blicken nach oben. In Vietnam ist es ein hoher und ausgesuchter Tisch. Dahinter steht ein Stuhl. Dieser Tisch steht meistens vor einer Buddhastatue. Er muß nicht in der Mitte der Gebetshalle stehen. Während der Dharmaunterweisung sitzen die Zuhörer auf dem Boden. In China ist es wahrscheinlich nicht anders.

In den Samanera-Silas wird die folgende Geschichte erzählt:

Kaiser Duong Thai Tong war ein treuer Buddhismusanhänger. Er verehrte den Dharma sehr und ließ deshalb einen hohen Dharmapodest für den großen Meister Ngo Dat errichten. Während der Dharmaunterweisung überkam den großen Meister ein Anflug von Hochmut, auf den sein Karma reagierte. Auf seinem Knie begann ein großes Geschwür zu wachsen, das eine menschliche Stimme besaß. Das große Geschwür bereitete dem Meister große Schmerzen. Er erfuhr, dass er vor 500 Jahren ein Richter war, der einen Mann namens Ngo Dat zu Unrecht zum Tode verurteilt hatte. Vor seinem Tod hatte Ngo Dat Rache geschworen und wartete seitdem auf die Gelegenheit, bis der Große Meister einen unreinen Gedanken hatte. Ngo Dat hatte 500 Jahre lang ein gutes Leben geführt bis auf das eine Leben, indem Er für sein Handeln büßen mußte. Danach ging Ngo Dat zu einem Fluß und wusch das Geschwür mit Wasser. Die reinigende Kraft des Wassers hat ihn schließlich von seinem Geschwür befreit. Deshalb entstand ein Sutra mit dem Namen „Reuezeremonie mit dem Wasser“. Dieses Sutra lehrt, dass man Reue auch durch den Gebrauch des Wasser zeigen kann. Die Kraft des Wassers kann schlechte karmische Taten reinigen. Es gibt sehr viele buddhistische Geschichten, denn der Buddhismus existiert schon länger als 2500 Jahre. Jedes Land hat seine eigene buddhistische Tradition. Dadurch hat auch jedes Land seine eigene buddhistischen Geschichten, um den Menschen das Gute zu lehren und über das Schlechte aufzuklären.

Seine Heiligkeit pflegt die Gewohnheit, vor der Unterweisung zusammen mit den Zuhörern ein kurzes Gebet zu sprechen. Obwohl ich kein Tibetisch verstehe, glaube ich, dass es das Herz-Sutra war, das ich in Schneverdingen gehört habe. Der letzte Satz, der in Sanskrit gehalten ist, veranlasst mich zu meiner Vermutung. Während des Gebets ist es bei den Tibetern üblich, dass die Mönche ihre Körper im Rhythmus hin und herwiegen. Das ist den chinesischen und vietnamesischen Schulen dagegen strikt verboten. Wahrscheinlich hat sich das im tibetischen Buddhismus so eingebürgert, weil die Gebete meistens sehr lange dauern. Müssen die Mönche hin und herschaukeln, damit die Gelenke nicht steif werden ?

Vor dem Beginn der Dharmaunterweisung sprach Seine Heiligkeit die Lobpreisungen des Geshe Tsongkhapa an die Buddhas und Bodhisattvas, wie z.B. Buddha Shakyamuni, Maitreya und Manjushri-Buddha. Danach verehrte Er die großen Meister Nagarjuna und Asanga. Sie waren große Dharmalehrer, die über das Prajna-Paramita und die Leerheit gepredigt hatten. Anschließend verehrte Seine Heiligkeit den Meister Dipamkara, ein wahrer Meister, der die Erleuchtung durch die Schulung des eigenen Geistes erfahren und erlangt hatte.

Der Mahayana kennt sechs Praxiswege, die zur Erleuchtung führen. Das sind: Lobpreisen, Niederwerfen, Reue zeigen, Rezitieren, Gelübde ablegen und Widmungen aussprechen. Wenn man die Lehre des Mahayana praktiziert, darf keine dieser Methoden der Praxis fehlen. Wir sollen die Verdienste der Buddhas, der Bodhisattvas und der erleuchteten Lehrmeister lobpreisen, denn wir haben kein Glück ihre Lehrworte unmittelbar zu erfahren. Die Buddhas und Bodhisattvas betrachten sie uns wie ihre eigene leiblichen Kinder. Sie sind gekommen, um uns den Weg zur Erleuchtung zu zeigen. Wir vergessen dabei häufig alle ihre schwere Mühe, die sie auf sich nahmen, nur um uns aus der Samsarawelt heraus zu führen. Seine Heiligkeit hat auch über die Bedeutung der „Drei Juwelen“ gesprochen. Da nicht alle der 10.000 Anwesenden Buddhisten waren, hat Seine Heiligkeit auch über diese gesprochen. Die Zuhörer kamen aus allen Berufsgruppen: Doktoren, Ingenieure, Richter, Professoren etc. Es gab aber auch viele Neugierige, einfache Menschen und Menschen anderer Glaubensrichtungen. Da die Zuhörer so unterschiedlich waren, hat Seine Heiligkeit stets ganz einfach anfangen und den Vortrag einem Erkenntnishöhepunkt zugeführt. Dieses Verfahren sukzessiver Bereicherung nennt man dann Lamrim, Stufenweg zur Erleuchtung.

Wenn ein Buddhist Zuflucht zu den „Drei Juwelen“ genommen hat, sollte er seinen Dharmalehrer mit Niederwerfungen verehren. In der tibetischen Buddhismustradition hat der Lehrmeister eine große Bedeutung. Die Schüler verehren ihre Meister manchmal mehr als die Buddhas. Der Grund ist, dass Buddha schon ins Nirwana eingegangen ist. Die Lehrmeister verkörpern die Buddhas und vermitteln den Dharma. In China und Vietnam ist es auch so. Ein Novize soll seinen Lehrmeister ehren. Er soll Verhaltensregeln lernen, die das Gehen, Stehen, Liegen, Sitzen, Sprechen, Essen, Trinken, Rezitieren, Meditieren, Lernen etc... umfassen. Das zweite von insgesamt 24 Samanera-Regeln besagt, dass der Samanera seinen Meister wie einen Buddha verehren soll. Die Verehrung des Meisters ist die erste Geistesschulung eines Neulings. Wenn jemand ins Kloster eintritt, muß er diese Tugend zuerst lernen und zeigen. Obwohl diese Regel in den nördlichen Buddhismus-Schulen, vor allem in China und Vietnam, gelehrt wird, wird sie nicht so konsequent angewandt wie in Tibet. Ich habe Bücher vom großen tibetischen Meister Milarepa gelesen. Ich bewundere seine Lehrmethoden sehr. Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist einmalig auf dieser Welt.

Die großen Meister Nagarjuna und Asanga gelten als die bekanntesten Dharmalehrer über das Sunyata und Prajna. Der Meister Nagarjuna wurde unter dem Juna-Baum geboren und trug diesen Namen. Er hatte durch die Hilfe der Drachen die Erleuchtung erlangt und heißt deshalb Nagarjuna. Er wurde im Süden von Thien Truc, 700 Jahre nach Buddhas Tod, geboren. Es wird erzählt, dass er zum Drachenpalast hinuntergestiegen ist und das Avatamsaka-Sutra mitgenommen und die Geheimlehre verbreitet hatte. Er ist der achte Patriarch der Tantra-Schulen in Indien.

In Bodh-Gaya, dem Erleuchtungsort des Buddha, hat der tibetische Buddhismus ebenfalls ein Exemplar vom Avatamsaka-Sutra in einem Turm verehrt. Dieses Sutra ist das Hauptwerk der Tantra-Schulen. Buddha hat nach seiner Erleuchtung dieses Sutra in 21 Tagen gepredigt. Doch niemand vermochte es verstehen. Deshalb wollte Buddha ins Nirwana eingehen. Doch da erschien Indra und erinnerte Buddha an sein Gelübde, alle Lebewesen zu seiner Erleuchtung zu verhelfen. Buddha ist daraufhin zum Gazellenhain gegangen und hat in der Nähe eines Flusses die Lehre vom „Vier Edlen Wahrheiten“ gepredigt.

Der Meister Asanga war der leibliche Bruder vom Meister Vasubandhu. Er ist Patriarch der Dharmalaksana-Schule und hatte die Lehre des Maha-Sunyata erlangt. Seine Eltern gaben ihm diesen Namen. Man sagt auch, dass er der jüngere Bruder vom Himmelskaiser sei. In der Thien Than Geschichte wird folgendes erzählt: „Er kam aus dem Norden Thien Truc und wurde ca. 900 Jahre nach Buddhas Tod geboren. Alle drei Brüder trugen den Namen Vasubandhu. Der älteste Bruder trug auch den Namen Asanga. Der jüngste trug ebenfalls einen anderen Namen. Nur der mittlere Bruder trug allein den Namen Vasubandhu. Er wurde ordiniert und studierte die Lehre der Theravada-Schule. Nachdem er diese Lehre verstanden hatte, hatte er sie auch der Bevölkerung weiter gegeben. Jeden Tag schrieb er ein Rezitationsgedicht und hatte insgesamt 600 verfaßt, die das Abhidharma-Kosasattva bilden. Er hatte über die Lehre des Mahayana-Buddhismus gelästert; wurde aber durch die Unterweisung des Meisters Asanga einsichtig. Als Beweis für seine Reue wollte er seine Zunge opfern. Asanga aber sprach zu ihm: «Du hast mit Hilfe Deiner Zunge über die Lehre des Mahayana-Buddhismus schlecht geredet. Nun ist es am besten, wenn Du sie wieder benützt, um den Mahayana-Buddhismus zu loben. Danach hat Vasubandhu viele Sastra-Sammlungen wie z.B. das Siddhi-Sastra verfaßt, um die Lehre des Mahayana-Buddhismus zu verbreiten. Er starb in Ayodhya im Alter von 80 Jahren.

Der Weg, der zur Mahayana-Lehre führt, ist ein Weg der Verehrung. Manchmal muß man sich sogar opfern, um diese Lehre zu empfangen. Wenn jemand mit schwachem Willen diese Lehre empfängt, so wird sie in seinem Geist nicht sehr viel bewirken. Seine Heiligkeit hat sehr genau gelehrt, dass man starken Willen und Kraft entwickeln muß, um die Lehre des Mahayana-Buddhismus empfangen zu können.

Der zweite Tag (Dienstag, 27. Oktober 1998)

Punkt 9 Uhr begann die Dharmaunterweisung. Wir aber standen bereits um 6 Uhr morgens auf. Diejenigen, die das Frühstück vorbereiten mußten, standen noch früher auf. Wir hatten fertige Nudelgerichte, die man nur mit heißem Wasser aufgießt, mitgenommen. Nur abends hatten die Nonnen Zeit, Abendessen mit vielen Gängen zu kochen. Zum Frühstück gab es nur einfaches Essen. Wir saßen in der gemütlichen warmen Ferienwohnung, während es draußen stark gewitterte. Wir nahmen das warme Nudelgericht ein und dachten an die weniger glücklichen Menschen. In dem selben Augenblick konnte man gar nicht wissen, wie viele Menschen auf dieser Welt verhungern und auch geistig leiden müssen. Es ist wirklich ein großes Leiden. Wir dagegen hatten alles. Obwohl die Unterbringung nicht sehr komfortabel ausgestattet war, waren wir sehr glücklich, besonders wenn man an die Besucher dachte, die im Auto oder im Zelt schlafen mußten. Es gab unter den 10.000 Besuchern nur sehr wenige Vietnamesen. Auch dafür gab es Gründe, vor allem waren es die Zeit und das Geld. Da wir Ordensleute waren, mußten wir keine Kosten für die Mahlzeiten und die Unterbringung zahlen. Laienbuddhisten und Zuhörer dagegen mußten Geld für den Eintritt, die Mahlzeiten, und den Transport bezahlen. Die Kosten für jede Person während der 7 Tage beliefen sich auf nicht weniger als 1.000.- DM. Wir waren ein bißchen beunruhigt, da die Veranstalter alle unsere Kosten übernommen hatten. Deshalb hatten auch wir zum Schluß der Veranstaltung Geld für die Übernachtung von 20 Personen gespendet. Unter den anwesenden Vietnamesen waren auch einige aus Leipzig, die sich für den tibetischen Buddhismus interessierten. Auch viele Vietnamesen in der Gegenwart sind Anhänger des tibetischen Buddhismus. Jeder kann für sich eine Richtung aussuchen. Wir sind Vietnamesen und haben unsere eigene buddhistische Tradition. Wir wollen gerne über andere und von anderen Traditionen lernen. Wir wollen uns auch über die Lehre des Buddha vermittelt durch Seine Heiligkeit erkundigen. Während dieser Dharmaveranstaltung lernten wir nicht die tibetische Sprache oder Kultur, sondern religiöse Inhalte kennen. Seine Heiligkeit, ein Bodhisattva, meditiert und rezitiert Mantren drei bis vier Stunden am Tag. Wir sollten uns deshalb noch mehr anstrengen und noch eifriger praktizieren, um viel geistige Belehrung mit auf dem Weg der Erleuchtung zu nehmen. Dies ist nicht leicht und es verlangt von uns einen starken Willen. Nur dadurch können wir alle Hindernisse im Leben überwinden, während wir die Buddhalehre täglich praktizieren.

An diesem Tag erteilte Seine Heiligkeit fünfeinhalb Stunden Unterweisung über den 9. bis 10. Teil. Er hat viel Zeit für die Fragen aus dem Publikum eingeräumt. Es gab sehr viele gute und interessante Fragen. Sie kamen vor allem von den Zuhörern, die den Buddhismus studieren. Es gab aber auch Fragen, die weniger zum Thema paßten. Seine Heiligkeit hat auf einige Fragen nicht geantwortet. Als Grund gab Seine Heilig an, sie liegen nicht in seinem Wissensbereich. Alle waren sehr respektvoll. Mit seiner Weisheit hat Seine Heiligkeit den Menschen klare Antworten auf ihre Fragen gegeben. Es folgte sehr viel Applaus nach jeder Antwort. Das ist eine Kunst, das Publikum zu begeistern. In seinem Geist existieren nur Barmherzigkeit und Weisheit. Seine Heiligkeit ist nicht von Unreinheiten und Leiden befleckt und ist deshalb immer fröhlich und freundlich zu Jedermann. Es ist nicht leicht, die Aufgabe eines Staatsoberhaupts das gleichzeitig geistiges Oberhaupt ist, zu meistern. Es gibt für Seine Heiligkeit sehr viele Verpflichtungen und viele große und kleine Aufgaben zu erledigen.

Unsere Gedanken und unser Handeln sind die Ursachen, die uns auf den Weg der Erleuchtung bzw. in den Weg der Wiedergeburten bringen. Die Dharmalehrer zeigen uns viele Wege auf zur Erlangung der geistigen Erlösung. Sie selbst haben hart praktiziert. Sie üben Yoga, um Weisheit zu erlangen und ihre eigene Ich-Verhaftung zu zerstören, damit sie zur Ich-Losigkeit gelangen können. Wenn unser Geist stets an der Erleuchtung ausgerichtet ist, ist er wertvoller als Gold und Silber. Als Mensch haben wir die freie Wahl, für uns einen Weg zu suchen. Dieser Weg kann uns ins Nirwana, zur Erleuchtung führen. Wir werden dann vom Leiden auf dieser Welt befreit. Dieser Weg ist aber schwer zu erhaschen, denn er kommt wie ein Blitz. Ein großer Schein und er verschwindet wieder. So genau verhält sich unser Geist. Als praktizierender Buddhist sollte man dies immer wissen. Täglich sollte man sich Gedanken über die Existenz auf dieser Welt machen. Tsongkhapa war ein großer Meister, der diesen Weg gegangen ist und hoffte, dass ihm alle Menschen auch diesen Weg folgen, um von allen Sorgen, Kümmernissen und Unreinheiten befreit zu werden.

An diesem Tag entschieden wir, nach dem Abendessen zurück zum Veranstaltungsort zu gehen, um auch an dem tibetischen Kulturabend teilzunehmen. Der Kulturabend stand unter dem Motto: „Die heiligen Tänze und tibetischen Gesänge“. Der Eintritt kostete 20.-DM. Für die Ordensleute war der Eintritt jedoch frei. Die Einnahmen wurde ausschließlich für die eingeladenen Tänzer und Sänger aus Indien verwendet. Die Tanzgruppe bestand aus einer Gruppe von Mönchen, die tibetische Trachten und Masken trugen. Die Tänze hatten einen tiefen Inhalt und waren sehr buddhistisch-philosopisch. Wenn man sie äußerlich betrachtet, so kann man nicht die Veränderungen des Geistes beschreiben. Man sollte schon jeden Tänzer genau beobachten, um den Inhalt, den Sinn und die Bedeutung einzelner Tanzbewegungen erkennen zu können. Die Tanzbewegungen verdeutlichen auch die Gier der sechs Sinnesorgane: Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Gedanken. Ich war mir nicht sicher, ob die Zuhörer diese Tänze verstanden hatten, denn sie waren für die Europäer sehr fremd.

Wenn ich mich nicht irre, dann konnten die Leute von diesen Tänze nur so viel verstehen wie ein Vietnamese den Film „Die Reise in den Westen“, der die Geschichte des chinesischen Meisters Huyen Trang aus der Tang-Dynastie, der das Tripitaka von Indien nach China holte erzählt. Die Zuschauer sehen eine der wichtigen Figuren in der Geschichte, die mit dem Schweingesicht, als einer Witzfigur. Diese ist eßbegierig, schlafsüchtig und mag schöne Frauen. Doch wir sind uns nicht bewußt, dass jeder von uns diese Figur sein kann, wenn wir unsere Sinne nicht kontrollieren.

Eine andere wichtige Figur ist der Affenmensch. Dieser besitzt 72 magische Kräfte. Auch er verkörpert unser Geist. Unser Geist ist vergleichbar einem Affen, der von Ast zu Ast springt oder einem zügellosen Pferd, das orientierungslos durch die Gegend rennt.

Die dritte Figur in dieser Geschichte ist Sa Tang. Er ist recht hartnäckig und stur. Doch nur wenige von uns wissen, dass auch diese in jedem von uns steckt. Sie verkörpert unseren siebten Sinn, genannt Manovijnana. Sie ist das Bewußtsein, das uns immer wieder zurück bringt in den Wiedergeburtenkreislauf. Die letzte und zugleich die Hauptfigur in der Geschichte ist der chinesische Meister Huyen Trang. Er ist die leidtragende Figur, denn er wird vom Bösen aufgesucht und mußte viele Prüfungen bestehen. Zum Schluß hat er es geschafft, nach Westen zu kommen um dort das Maha-Tripitaka zu erhalten und wieder zurück mit nach China zu bringen. Dieser Meister verkörpert unser Bewußtsein, genannt Alaya-Vijnana. Dieses Bewußtsein steht über alle andere Bewußtseinsformen. Es ist der König der Könige. Wenn dieser König die Armee zur Waffenruhe befiehlt, dann traut sich kein Kommandant mehr anzugreifen. Dies ist wirklich eine hohe Philosophie. Aus diesem Grund sollte man sich auf einen derartigen Film bzw. eine derartige Geschichte sehr konzentrieren und den Geist bündeln, um neue Ideen aufzunehmen.

Jeder der indischen Tänzer am Kulturabend verkörperte einen unserer Sinne, der zum Schluß in ein schneeweißes Kaninchen verwandelt wurde. Das weiße Kaninchen bedeutet, dass der Geist rein ist und bereit ist für eine Wiedergeburt in eine bessere, höhere Welt. Es könnte sein, dass ich nicht alle Bedeutungen des Tanzes verstanden habe. Doch man sollte sie aus buddhistischer Sicht zumindest etwas verstehen. Manchmal kamen auch die Mönche in gelben Mützen in die Vorstellung. Sie rezitieren Sutren, Mantren und sangen nach tibetischer Tradition. Sie benutzten lange Blashörner. Die Musiker haben sehr viel Kraft, um dieses Instrument spielen zu können. Die Töne sind zauberhaft. Sie benutzten auch andere Instrumente wie die Tuba und die Trompete. Manche Blashörner sind bis zu vier Meter lang, die von zwei bis drei Leuten getragen werden müssen. Nur wenige buddhistische Länder gebrauchen derartige Instrumente.

In den vietnamesischen Buddhismustraditionen gibt es ebenfalls Ritualinstrumente, die für bestimmte Zeremonien gebraucht werden. Die Instrumente sind jedoch handlicher, so z.B. das einsaitige Streichinstrument, die Handtrommel, die kleine Schlagglocke, das kleine Becken, der hölzene Gong, das Holzschlagzeug, die Handglocke, der kleine Gong, das Holzbrett etc. Einige Zeremonien dauern oft stundenlang. Die Zeremonie zur Rettung der toten Geister dauert meistens zwischen 2 bis 4 Stunden. Die Zeremonienführer sind gut ausgebildete Mönche, die lange und hervorragende Stimmen besitzen. Die vietnamesische Ritualmusik kennt keine Noten. Somit kann ein Nichtkenner bei ihr nicht mitwirken. Die Zeremonienführer müssen viele Jahre Ritualmusik studiert und praktiziert haben. Sie erwerben dabei eine sehr gute Stimme, um die Menschen zu begeistern. Nur so qualifizierte Mönche können zu einer derartigen Musikgruppe gehören. Der Hochehrwürdige Hsing Yun, Abt des Quang Son Klosters in Taiwan, hat auch einen starken Musikchor, der ihn bei seinen Dharma-Reisen unterstützt. Er ist umgeben von einer großen Musikgruppe, die buddhistische Ritualmusik spielt und singt. In seinen Konzerten sieht man oft seine Ordensschüler vor ihm sitzen. Auf einer Seite sitzt das Orchester mit ihren Musikinstrumenten. Vor ihm sitzen die Zuschauer. Vor seinen und den Augen der Zuschauer tanzen die Tänzerinnen, die Buddha mit Blumen als Opfergaben ehren. Das Besondere an der chinesischen Ritualmusik ist, dass man die Melodie in Noten schreiben kann. So auch im japanischen Buddhismus. In der vietnamesischen Tradition ist dies leider noch nicht möglich. 1984 habe ich ein Buch mit dem Titel „Rituale und Musik des Buddhismus“ verfaßt. Darin habe ich versucht, die Melodie in Noten wiederzugeben. Doch die Leute hatten Schwierigkeiten, sie umzusetzen. Ich denke, dass es eines Tages jemanden geben wird, der die Melodie in Noten umsetzen kann, damit alle mitsingen und zusammen harmonieren können.

Nach der buddhistischen Ordensregel ist es verboten, dass Mönche und Nonne weltliche Musik hören und spielen. In diesem Fall wird die Ritualmusik aber als Opfergabe an die Buddhas angesehen und als Beispiel für die Vielfalt des Buddhismus. So verstößt man nicht gegen diese Regel. Hinzu kommt, dass der Buddhismus heute in dieser schlechten Zeit viele Veränderungen unterworfen ist, um der Situation und den geistigen Bedürfnissen der Menschen heute gerecht zu werden. Die Ritualmusik ist eine Form, den Buddhismus ins tägliche Leben der Menschen zu bringen. Dazu sind Ausnahmen und Erneuerungen notwendig.

Wir haben zwar kein Tibetisch verstanden. Doch wegen des sicheren Auftreten der Musiker und Tänzer bin ich überzeugt, dass sie erfolgreich waren. Alle haben ihr Bestes gegeben. Nach dem Kulturabend hat jeder auf seine Weise darüber diskutiert. Es gab unterschiedliche Äußerungen. Diese sind aber letztendlich nur Veränderungen des Geistes. An diesem Abend haben wir sehr gut geschlafen, obwohl es draußen stark gewittert hat.

Der dritte Tag (Mittwoch, 28.Oktober 1998)

Es regnete noch. Der Wind war stark. Die Veranstalter rechneten mit dem Schlimmsten, wenn ein Sturm aufkommen sollte. Während der Dharmaunterweisung war Seine Heiligkeit sehr gelassen. Viele Zuhörer schienen dagegen sehr besorgt. Sie wussten nicht, was passieren würde, wenn der Wind die Zelte wegwehen sollte. Wo sollten dann die 10.000 Leute hin?

Ich bekam einen Anruf vom Kloster Vien Giac aus Hannover. Ich erfuhr, dass der Keller überflutet worden war und es weder Strom, Gas, Heizung noch warmes Wasser gab. Ich blieb trotz der Nachricht sehr gelassen. Ich dachte mir, es wäre jetzt so wie so schon zu spät. Der Grund für diese Überflutung war starker Regen. Das Wasser konnte nicht schnell genug abfließen. So kam es zu Stauungen und der Überflutung. Nahrungsmittel und Gegenstände die in den Kellerräumen aufbewahrt wurden, waren schwer beschädigt. Der Schaden lag bei knapp 100.000.- DM. Bis heute habe ich noch keinen Bescheid von der Versicherung bekommen, ob dieser Schaden ersetzt wird oder nicht. Der Grund ist, dass im Oktober 1998 sehr viele Häuser und Wohnungen von der Überflutung betroffen waren. Ich habe mit bekommen, dass die Versicherungsgesellschaft die Stadt Hannover angeklagt hat. Die Stadt Hannover hat dagegen kein Geld. Und so geht es immer hin und her. Die Chinesen haben einen Weisheitsspruch. „Wo Wasser ist, ist auch Geld“. Die Vietnamesen haben auch einen ähnlichen Spruch „Das Geld fließt rein wie Wasser“. Der Klosterpagode Vien Giac war es geschehen. Doch das Geld floß stattdessen weg und es waren alles Spenden von Buddhisten. Der Klosterpagode war dergleichen bislang noch nie passiert. Doch das Jahr 1998, so auch das Jahr 1999 war eine schlechte Zeit. Es gab überall Naturkatastrophen. Das Klima veränderte sich. In Vietnam und vielen anderen asiatischen Ländern ist das Wasser knapp. Dort drohen Trockenheit. In Europa ist es dagegen das ganze Jahr über kalt. Es gibt reichlich Wasser. Die Sonne sieht man dafür selten und die Energie wird in großen Mengen verbraucht. Die Welt ist wirklich ungerecht. Oder sollte man besser sagen: das Karma jedes einzelnen Lebewesens ist ungleich, so auch das Geschehen auf dieser Erde.

Die Medien berichteten, dass der Sturm die Stärke 6 erreichte. Währenddessen hat Seine Heiligkeit stets gelächelt. Zum Glück hat der starke Wind uns nicht weggepustet. Wenn das passiert wäre, dann hätte man es zum Thema des Tages gemacht und Witze darüber erzählt.

Deutschland hat eine lange christliche Tradition. Der christliche Einfluß hat etwas mehr als 1000 Jahre in Deutschland gewirkt. Die Menschen akzeptieren deshalb nicht so schnell eine andere neue Religion. Seine Heiligkeit hat die Christen aufgerufen, nicht unbedingt ihre traditionelle Religion aufzugeben um Buddhist zu werden. Sie könnten ihre alte Religion beibehalten und gleichzeitig Buddhist sein. Dies ist für die meisten Interessenten ein Anfang. Doch viele, nachdem sie die Lehre des Buddha, insbesondere der Vajra-Buddhismus, gründlich studiert und praktiziert hatten, ließen sich zu Buddhisten konvertieren. Sie hatten sich einen einzigen geistigen Weg ausgesucht. Heute hat Seine Heiligkeit seine Unterweisungen mit dem 11. Teil fortgesetzt. Dieser Teil beschäftigt sich mit folgendem: „Nichts kann garantieren, dass der Mensch nach seinem Tod nicht in die drei schlechten Bereiche wiedergeboren wird, es sei denn die Drei Juwelen. Sie helfen den Menschen, ihre eigene Selbstsicherheit vor der geistigen Krise zu entwickeln. Aus diesem Grund soll ein Buddhist die Zuflucht zu den Drei Juwelen nehmen. Man soll auch wissen, dass man seine gutes wie auch sein schlechtes Karma beeinflussen und verändern kann. Man soll also stets gute Taten vollbringen und schlechte Taten vermeiden. Der Meister Tsongkhapa ist diesen Weg auch gegangen. Da jeder Mensch vom Leid befreit werden möchte, hat Seine Heiligkeit über die Methode dieser Praxis gesprochen“.

Das waren die Grundgedanken dieses Tages. Seine Heiligkeit hatte sich in den Drei Juwelen, und die drei Leidensbereiche (Hölle, Hungrige Geister und Tiere) vertieft. Seine Heiligkeit hatte auch sehr ausführlich über das Karma des Menschen und dessen letzte Wahrnehmungen vor der Wiedergeburt gesprochen. Heute verstehe ich langsam die Beispiele, die Seine Heiligkeit zur Verdeutlichung der Sache gegeben hatte. Die Beispiele waren einfach aber sehr tiefgründig. zum Thema „GLÜCK“ hat Seine Heiligkeit über das weltliche, das zeitweilige Glück, das wir für wahr und ewig halten, gesprochen. Als Beispiel diente der Erwerb eines neuen Autos. Wir lieben das neue Auto sehr, putzen es viele Male in der Woche. Doch im Laufe der Zeit hat man seine Freude daran verloren und seine Pflicht vergessen. Das nennt man das weltliche Glück. Es ist zwar da, doch nur vorübergehend. Es ist nicht ewig in diesem oder mehreren Leben. Nur das geistige Glück, die Freude am Dharma, der innere Frieden ist ewig. Man braucht keine Angst zu haben, dass es verloren geht oder in Vergessenheit gerät.

Zum Thema „Karma“ hat Seine Heiligkeit das Beispiel mit dem Glas Wasser gegeben. Jedes Lebewesen ist ein Glas Wasser, das aus mehreren Leben entstanden ist. Das schwarze trübe Wasser im Glas sind die Karmas, die man gesammelt hat. Der Schmutz ist auch entsprechend unterschiedlich. Die Färbung variiert von hell bis dunkel. Es gibt Menschen, die fleißig die Buddhalehre praktizieren. Das wirkt sich, um bei dem Gleichnis mit der Wassertrübung zu bleiben, in der Farbe des Wasser aus. Die Farbe verändert sich von dunkel nach braun und zu einer anderen noch helleren Farbe. Eines Tages wird das Wasser ganz klar ohne eine einzige trübe Stelle sein. Erst dann ist der Geist ganz rein und man ist erleuchtet. Man ist Buddha geworden. Ein Buddhist sollte jeden Tag die Buddhas der zehn Himmelsrichtungen lobpreisen, Niederwerfungen machen, Reue zeigen, anschließend die Mahayana-Sutrentexte lesen, ganz starkes Bodhicitta entwickeln. Nur so kam er die Erleuchtung erlangen. Zum Schluß jeder Praxis sollte man seine Verdienste allen Lebewesen widmen. Man betet, dass alle Lebewesen Buddhas werden mögen. Alle diese verdienstvollen Taten sind wie reine, kühle Wassertropfen, die unseren Geist befeuchten. Dadurch werden wir von den Unreinheiten und den Leiden im Leben gelöst. Eine weitere Frage wurde gestellt, wann man sein Karma ganz abbauen kann. Die Frage war einfach. Wenn jeder Buddhist viel praktiziert und fest davon überzeugt ist, gute Taten vollbracht zu haben, dann hat er auch das trübe Wasser im Glas gereinigt. Er wird dann die Erleuchtung erlangen. Dies hängt aber von jedem Praktikanten, jedem Buddhisten und jeder Buddhistin selbst ab, wie und wann sie dieses Ziel erreichen, und nicht etwa vom Dharmameister oder irgendeinem Gott oder Allmächtigen.

Wenn man von dem buddhistischen Weltmodell ausgeht, gibt es die Höllenwelt, die Welt der hungrigen Geister und die Tierwelt. Diese gehören zu den drei unteren Bereichen. Warum sollte es diese Welten nicht geben, wenn es das Nirwana, die Welt der Himmelsgötter und Heroen gibt? Das Karma dieser Lebewesen ist unterschiedlich. Jedes Lebewesen wird aufgrund des jeweiligen Karmas in die entsprechende Welt wiedergeboren. In den großen Mahayana-Sutren wie z.B. das Avatamsaka-Sutra, das Nibbana-Sutra, das Prajna-Paramita-Sutra oder das Ratnakuta-Sutra, hat Buddha den Menschen und allen Lebewesen erzählt, dass es viele Welten, viele Universen, viele Planeten und Lebewesen gibt. Wir können sie jedoch nicht mit unseren leiblichen, menschlichen Augen sehen, sondern nur durch die Weisheitsaugen der Buddhas und Bodhisattvas. Als Buddha dies sagte, haben wahrscheinlich nur die Bodhisattvas daran geglaubt. Die Menschen waren verdutzt. Selbst heute glauben viele Buddhisten nicht alles, was Buddha erzählt hat. Sie zweifeln immer noch. Das macht aber nicht. Die Wissenschaft ist deswegen ständig auf der Suche nach Beweisen. Die Wissenschaft hat jetzt bereits den Mond und die Sonne erforscht. Sie ist sogar ins All gestoßen. Doch sie findet immer noch keinen Anfang und kein Ende. Die Wissenschaft ist unzufrieden und forscht weiter bis sie zu dem Entschluß kommt, dass die Menschheit und das Universum vor unendlicher Zeit entstanden sind und in unendlicher Zeit erlöschen werden. Der berühmte Physiker Albert Einstein hat gesagt, falls es in der Zukunft eine Religion geben sollte, die der Wissenschaft entspricht, dann wäre es der Buddhismus. Der Buddhismus muß den Fortschritt der Wissenschaft nicht nachweisen, denn die Lehre des Buddha enthält alles was die Wissenschaft erforschen will.

Das ist völlig richtig, denn wenn etwas neues entsteht, geht auch etwas anderes verloren. Wer will schon nach der Quelle des Lichtes und der Dunkelheit forschen. Wenn die Unwissenheit erlischt entsteht die Weisheit. Solange das Karma noch wahrhaftig ist, solange wird es noch Leiden und Unreinheiten geben. Wenn das Karma ausgelöscht ist, dann erscheint die wahre Buddhanatur. Alle Dinge auf dieser Welt verhalten sich ebenso. Sie entstehen durch unsere Geistesvorstellungen. Wenn unser Geist rein ist, sind die Dinge auch rein. Buddha sprach selten über das Nirwana. Als Grund gab er das Beispiel mit dem Giftpfeil. Wenn jemand von einem Giftpfeil getroffen wird, ist es am wichtigsten, den Pfeil zu entfernen und dem Verletzten zu retten, damit das Gift sich nicht ausbreitet. Es ist nicht wichtig danach zu fragen, woher der Pfeil kam, aus was er gemacht ist oder wer ihn geschossen hat? Alle diese Fragen sind sinnlos. Wir sollen stets wissen, dass unser Geist durch unser Karma befleckt ist. Am wichtigsten ist es, dass man sein Karma zuerst reinigt. Die Erleuchtung kommt von selbst, wenn unser Geist rein ist.

Bei einer anderen Gelegenheit erzählte Buddha seinen Schülern ein anderes Beispiel. Wenn jemand Durst hat und Wasser trinkt, so wird nur er es wissen, wie gut es war, den Durst zu stillen. Wenn man jemanden fragt, der gerade Wasser getrunken hat, wie er sich fühlt, kann dieser bestimmt keine Antwort geben. Genauso ist es mit dem Nirwana, das man nicht erklären soll und es auch nicht zu erklären versucht. Was nützt es einem denn zu erfahren, wenn man doch sowieso nicht danach strebt und dementsprechend praktiziert.

Viele Menschen im Westen praktizieren auch heute die Buddhalehre. Sie geben sich sehr viele Mühe. Doch sie sollten sich Zeit lassen. Schließlich existiert der Buddhismus schon länger als 2.500 Jahre auf dieser Erde. Der Buddhismus kam dagegen erst vor 200 Jahren nach Deutschland. Es braucht Zeit, bis der Buddhismus richtig etabliert ist. Man kann nicht in einem einzigen Leben oder an einem einzigen Tag Buddha werden. Selbst die Buddhas haben unendliche Äonen von Leben gebraucht, bis sie Buddhas wurden. Es kann auch sein, dass man in verschiedenen Daseinswelten gelebt hat, bevor man Buddha wird. Die Menschen im Westen sollten sich daher nicht zu sehr danach sehnen, sofort Buddha zu werden. Sie sollten lieber froh sein, dass man als Mensch wiedergeboren wurde. Man muß schon mit vielen Leben rechnen. Es gibt einige westliche Zen-Meister, die nur nach kurzer Ausbildung Zen-Unterricht geben. Es gibt auch einige, die noch weitergehen, indem sie die Mahayana-Lehre selbst studieren und keinen Lehrmeister brauchen. Sie brauchen lediglich nur einige Laien, die auch nach der Erleuchtung streben. Das ist völlig falsch. Denn niemand von uns kann zu etwas werden, wenn er keinen Lehrer hat. Natürlich gibt es Ausnahmen; doch solche Menschen gibt es nur selten. Niemand von uns hat Lesen und Schreiben gelernt ohne die Schule besucht zu haben. Die Klöster und buddhistischen Zentren sollten deshalb die Schwerpunkte auf die Geistesschulung legen. Nur durch die tägliche Praxis kann unser Geist geschult werden. Man sagt zwar, dass Buddha in unserem Geist ist. Doch wir sollten wissen, wie man unseren Geist von Tag zu Tag verbessert. Man sollte nicht denken, dass man Buddha ohne die Unterweisung eines Dharmalehrers werden kann.

Es gibt einige Zenmeister aus Asien, die im Westen den Zen schnellstmöglich an die Einheimischen vermitteln wollen. Sie machen viele Veränderungen und gebrauchen die Dharmabegriffe falsch. Traditionell gesehen gibt es in der Sanghagemeinschaft keine Laienanhänger. Der Sangha ist eine Gemeinschaft der Ordensleute, die keine Familie haben und ein reines Leben führen. Die Laien, das sind die Upasaka, und Upasaki (sankr.), gehören nicht zu den Bhikkhus, Bhikkhunis, Samanera, Samaneri oder der Vorstufe zur Bhikkhuni. Wenn alles wirklich eins sein sollte, warum hat Buddha dann die Gemeinschaft in 7 oder 4 oder 2 Gemeinschaften aufgeteilt? Buddha hat es so gelehrt. Warum haben einige Dharmalehrer heutzutage seine Lehre falsch interpretiert und modifiziert gelehrt?

Am Abend des 28. Oktober habe ich einige Novizen und Novizinnen zurück in die Klosterpagode Vien Giac nach Hannover geschickt. Sie sollten mir über den Schadenstand, den die Überflutung angerichtet hatte, berichten. Ich blieb zurück in Schneverdingen, um weiter an der Dharmaveranstaltung teil zu nehmen. Ich bin der Meinung was geschehen ist, ist geschehen. Man kann es doch nicht mehr rückgängig machen. Wenn ich zurück zum Kloster ginge, könnte ich die Dinge auch nicht ungeschehen machen. Ich sagte den Novizen, sie sollten den Leuten in der Klosterpagode ausrichten, dass sie sich beruhigen sollten. Ich werde nach der Dharmaveranstaltung zurückkehren. Dann haben wir immer noch Zeit, aufzuräumen.

An diesem Abend hat der Hochehrwürdige Geshe Thubten Ngawang eine Einleitung in das Lamrim gehalten. Ich konnte daran nicht teilnehmen. Geshe ist ein bekannter tibetischer Meister in Deutschland. Er kam so wie ich 1977 nach Deutschland. Er ist jedoch viel älter als ich. Man könnte sagen, er ist die Seele des tibetisch-buddhistischen Zentrums. Wenn es ihn nicht gegeben hätte, dann würde der tibetische Buddhismus in Deutschland nicht den heutigen Entwicklungsstand erreicht haben. Er wurde von Seiner Heiligkeit beauftragt, das geistige Leben der deutschen Buddhisten zu betreuen. Er trägt den Titel Lharampa Geshe. Geshe ist vergleichbar mit einem Doktor der Buddhologie. Vertreter mit diesem Titel gibt es nur sehr wenige und es ist zudem sehr schwer, die Prüfung zu bestehen. Seine Heiligkeit hat diesen Titel auch erworben. Schade ist, dass Geshe Ngawang nicht viel Deutsch und nur wenig Englisch spricht. Deshalb lächeln wir uns nur gegenseitig an oder unterhalten uns dementsprechend wenig. In Deutschland leben sehr wenige Tibeter. Das tibetisch-buddhistische Zentrum in Hamburg beherbergt deshalb ausschließlich deutsche Ordensleute. Alle Mönche und Nonnen müssen die tibetische Sprache lernen. Das ist eine schwere Sprache. Christoph und Carola verstehen und sprechen jedoch sehr gut Tibetisch. Sie haben viele Sutrentexte aus dem tibetischen ins Deutsche übertragen. Somit haben sie den deutschen Interessenten einen Zugang zur Buddhalehre aufgeschlossen.

Am Anfang der Gründung gab es im tibetisch-buddhistischen Zentrum nur einige Ordensleute. Heute gibt es in beiden Zentren, in Hamburg und Schneverdingen, ca. 10 Ordensleute, die dort leben. Nach Geshe Tubten sind auch viele andere Geshes nach Deutschland gekommen, um den Dharma zu verbreiten. Doch wahrscheinlich hatten sie Schwierigkeit mit der Anpassung und gingen wieder. Wenn man über die Geschichte des tibetischen Buddhismus in Deutschland in den letzten 20 Jahren spricht, so muß man die Arbeit vom Geshe Ngawang hervorheben. Alles geschieht durch das Gesetz der Ursache und Wirkung.

Auch ich erklärte mich einverstanden, dass einige Deutsche, die den tibetischen Buddhismus praktizieren wollen, in der Klosterpagode Vien Giac drei Zimmer benutzen dürfen. Sie errichteten einen kleinen Gebetsraum, ein Büro und ein Zimmer für einen Gastmönch, der sie betreuen sollte. Der Gebetsraum wurde ebenfalls von Seiner Heiligkeit am 18.06.1995, anläßlich seines Besuches in der Klosterpagode Vien Giac, eingeweiht. Die deutsch- tibetische buddhistische Gemeinschaft hat den Namen Chöling. Der Vorsitzender dieses Vereins ist Dr. Dienemann. Der Verein hat ca. 70 Mitglieder, die sich regelmäßig treffen und Aktivitäten gemeinsam durchführen. Der Verein hat am Anfang einen Mönch aus Indien eingeladen, der den Verein geistig betreuen sollte. Dieser Mönch hat auch den Lharampa Geshe Titel. Dieser Geshe wohnte für einige Zeit bei uns im Kloster, aß mit uns zusammen, praktizierte jedoch eine andere Buddhismusrichtung. Nach einiger Zeit gab es Probleme zwischen ihm und dem Verein. Der Geshe trat daraufhin einem anderen Verein bei. Jedoch hat er, soviel ich mitbekommen habe, auch dort keinen Erfolg. Der Geshe beabsichtigt, einen neuen Verein zu gründen. Währenddessen ist der Chöling-Verein im Kloster noch intakt. Die Mitglieder treffen sich weiterhin regelmäßig. Sie laden oft Dharmalehrer ein, um Seminare und Vorträge zu leiten. Das Leben hat wirklich viele Seiten. Man kann nicht hundertprozentig sagen, wer Recht oder Unrecht hat. Nur die Zeit kann uns diese Fragen beantworten. Doch sollten wir stets wissen, dass alle Dinge durch das Gesetz der Ursache und Wirkung entsteht und vergeht. So ist eben das Leben.

Der vierte Tag (Donnerstag, 29. Oktober 1998)

Das Wetter war sehr schön heute. Genauso wie ein vietnamesisches Sprichwort sagt: „Nach dem Regen wird es wieder hell“. Die Menschen strömten wieder zurück zur Zeltstadt, um weiter an der Dharmaveranstaltung teilzunehmen.

Nachdem Seine Heiligkeit drei Niederwerfungen gemacht hatte, bestieg Er den Thron und begrüßte die Zuhörer mit seinem Lächeln. Er schien jeden zu kennen. Die Zuhörer fühlten sich geborgen. Seine Heiligkeit behandelte alle Menschen gleich und machte keine Unterschiede in der Rasse, Sprache, Bekleidung oder Benehmen. Selbst zu den Chinesen, die sein Land eroberten, ist Er immer freundlich und zuvorkommend. Er möchte alles friedlich lösen und keine Gewalt verherrlichen. Er ist barmherzig, obwohl die Chinesen seine eigentliche Feinde sind, die sein Volk unterdrücken. Seine Heiligkeit verhält sich wie ein Bodhisattva, denn im Bodhisattva-Sutra steht geschrieben: „Wenn jemand die Bodhisattva-Gelübde abgelegt hat, darf er niemanden töten; auch wenn jemand seine Eltern getötet haben sollte. Man darf keine Rache üben“. Alle Menschen sind Brüder und Schwester aus Äonen von Jahren. Durch die Unwissenheit vergessen wir diese Tatsache. Wenn wir von der Weisheit durchdringt wären, würden wir gegenseitig nicht um unser Überleben kämpfen.

Seine Heiligkeit sprach in den letzten Tagen über sehr viele wichtige Themen, vor allem über das Elementarwissen des Buddhismus. Ich habe seine Worte bislang nicht aufgeschrieben. Doch von diesem Tag an schrieb ich sie nieder. Ich schrieb manchmal auf Englisch, auf Deutsch, auf Vietnamesisch oder auf Französisch. Man konnte bei dieser Veranstaltung die Unterweisung Seiner Heiligkeit in 8 verschiedenen Sprachen verfolgen. Und so schalte ich den Kanal manchmal um, um zu erfahren, ob es viel anders klingt in einer anderen Sprache. Ich tat es so, um nicht einzuschlafen, besonders gegen die Mittagszeit. Die Dolmetscher für die verschiedenen Sprachen waren Spezialisten, denn es ging vor allem um buddhistische Fachwörter.

Eine Sprache zu erlernen, ist nicht einfach. Nur Leuten, die einen festen Willen haben, wird es gelingen. Wenn jemand vergeßlich ist, sollte er lieber keine Sprachen lernen. Natürlich ist die Sprache nicht so schwer. Doch man muß sie schon regelmäßig üben und die Grammatik beachten. Erst dann kann man sagen, dass jemand die Sprache gut beherrscht. Jede Sprache hat ihre eigenen Strukturen, vor allem die Sprache der Wissenschaft und des Alltags. Hinzu kommen noch die Fachsprachen verschiedener Bereiche. Selbstverständlich ist niemand in der Lage, alle Bereiche zu kennen. Doch man sollte sich schon bemühen, viele Fachbereiche abzudecken. Daher kann man sagen, dass alle unser Lehrer und gleichzeitig wir Lehrer von allen sind. Wenn wir etwas wissen und den Leuten dieses Wissen weiter vermitteln, dann sind wir ihre Lehrer; umgekehrt sind wir Schüler, wenn jemand uns sein Wissen beibringt. Ein Schüler muß stets daran denken, Fortschritte zu erzielen. Es ist nicht wichtig, wer uns das Wissen vermittelt. Hauptsache ist, dass wir das Gute und Positive von ihm erwerben.

An diesem Tag sprach Seine Heiligkeit auf Englisch ein bißchen über die Veränderung der Zeit und somit auch über unseren Geist. Die Zeit ist im Buddhismus unendlich und grenzenlos. Sie hat weder einen Anfang noch ein Ende. Alles entsteht und vergeht. So ist es mit dem Gesetz der Natur, das die Wissenschaft bislang zu erforschen versucht. Je fortgeschrittener die Wissenschaft ist, desto klarer kommt die Buddhalehre ans Tageslicht.

Seine Heiligkeit sagte auch immer: „Wenn man jemanden oder etwas liebt, hat man keinen Haß in seinem Herz. Umgekehrt, wenn man jemanden oder etwas haßt, hat man für diesen Jemand oder dieses Etwas keinen Platz in seinem Herz. Leute, die ständig die Tugend der Barmherzigkeit üben, haben sicherlich keinen Haß und Gier in ihrem Herz. Alles wird vom Geist erschaffen. Der Geist führt eben alle Dinge.

Seine Heiligkeit hat die Zuhörer gelehrt an die Drei Juwelen zu glauben. Sie sind eine große geistige Stütze. Durch sie gerät man nicht leicht auf den schlechten und bösen Weg. Man soll außerdem den Dharma, die Lehre Buddhas, verehren. Die Natur des Dharma hilft den Menschen aus dem Kreislauf der Wiedergeburten zu entkommen.

Alsdann sprach Seine Heiligkeit über die 10 guten Taten und die 10 schlechten Taten. Taten, die durch den Körper entstehen gibt es drei; durch Rede sind es vier und durch Gedankentätigkeit auch drei. Karma entsteht durch Verlangen; Verlangen entsteht durch Unwissenheit. Wenn Unwissenheit vernichtet wird, verschwindet auch das äußere Bild; zurück bleibt nur die Buddhanatur. Karma entsteht nicht nur in diesem, sondern auch in anderen Vorleben. Bereits nach der Geburt verursacht man Karma. Alle Karmas, die durch die Rede verursacht werden, entstehen in diesem Leben. Diese Karmas kann man erkennen und verbessern. Karmas, die durch den Körper verursacht werden, kann man dagegen nicht so leicht vernichten. Sie haben bereits tiefe Wurzeln geschlagen. Doch wenn wir uns anstrengen wird sich alles wieder richten.

Gier, Haß und Verblendung (Drei Geistesgifte) verhalten sich ebenso. Nur durch Sila, Konzentration und Meditation kann man sie vernichten und an das andere rettende Ufer gelangen. Wenn jemand die 10 guten Taten vollbringt, kommt er in die Welt der Himmelsgötter. Dort kann man den Wohlstand und die Schönheit genießen. Doch wenn die Leute ihre Verdienste aufgebraucht haben, kommen sie wieder in die Menschenwelt oder auch in einem der drei niederen Welten.

An diesem Vormittag sprach Seine Heiligkeit über den 12. Teil. Das war der letzte Teil des Grundwissens. Teil 1 bis Teil 12 handelten über die Methoden der Praxis, bei denen man alle böse Taten vermeiden und gute Taten tun sollte. Der Inhalt des 12. Teil lautet wie folgt: Um die Erleuchtung zu erlangen sollte ein Buddhist alle oben genannten Bedingungen erfüllen. Solange man sich selbst nicht erkennt, kann man sicherlich nichts wesentliches weitergeben. Geshe Tsongkhapa hat uns deshalb gelehrt, wir sollen unsere eigene Geburt und den Tod erforschen, denn sie sind sehr wichtig und wurden von der Unwissenheit verdeckt. Unser Karma ist folglich dauerhaft. Wir sollten es durch unsere eigene Kraft verabschieden, um einen besseren Erleuchtungsweg zu erreichen. Geshe Tsongkhapa hat diese Methode praktiziert. Wenn auch sie die Erleuchtung wollen, sollten sie alle diesen Weg gehen.

Obwohl diese 12 Teilabschnitte kurz und bündig sind, sind sie sehr wichtig für einen Buddhisten. Sie dienen als Wegweiser, sozusagen als die 12 Stufen zur Buddhaschaft.

Im 13. Teil sprach Seine Heiligkeit über die Methoden zur Vernichtung des eigenen „Ichs“. Man sollte sich nicht zu sehr anstrengen, um das wirkliche Leiden zu visualisieren und sich auch nicht von seiner eigenen Anstrengung befreien, wenn man noch nicht die Ursache der momentanen Wahrhaftigkeit versteht. Ebenfalls nicht, wenn der Praktikant es nicht versteht, wie man sich von der Wurzel der Wiedergeburten auf diese Samsarawelt lösen kann. Ein Buddhist sollte deshalb all diesen Absichten sein lassen und versuchen, sich auf die jetzige Existenz zu konzentrieren. Man sollte die Dinge, wie sie sind, im Kreislauf der Wiedergeburten belassen. Geshe Tsongkhapa ist ebenfalls dieser Methode gefolgt. Wenn wir uns vom Leiden befreien wollen, sollten wir auch seinen Weg beschreiten.

Alsdann sprach Seine Heiligkeit grob über die 400 Lobverse vom Hochehrwürdigen Thanh Thien. Man sollte die Unwissenheit beseitigen, um das Ich zu vernichten. Diese Bedingungen können nur Buddhisten mittlerer Stufen erreichen.

Die Grundgedanken im Buddhismus sind die Erleuchtung und Befreiung vom Leid. Man kann das Ziel durch die Vernichtung des falschen Glaubens und des Ich erreichen. Was bedeutet falscher Glauben? Er bedeutet das Fürwahrhalten des Falschen. Man hält das Böse für das Gute. Diese falsche Ansicht kommt durch die Neigung zu bestimmten Einstellungen und das eigene Ich. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen. Ein Fußgänger glaubt zur warmen Mittagszeit Wasser auf der Straße sehen zu können. Doch dieses Wasser gibt es nicht, denn sie entsteht nur durch die Spiegelung der Sonne. Selbst wenn es wirklich Wasser geben sollte ist es auch nur ein falscher Name. Kein Ding auf dieser Welt hat ein Ich, auch wir selbst nicht geschweige denn unser Körper. Wir glauben ständig, dies und das gehört uns, dieser Körper gehöre uns etc... Doch sie gehören niemanden, sondern ausschließlich dem Himmel der Erde und den Dingen. Sie entstehen und bleiben, wenn die Bedingungsfaktoren vorhanden sind und vergehen, wenn sie nicht mehr existieren. Auch wir verändern uns aufgrund der äußeren Bedingungen. Wir sollten deshalb nicht stur an irgendeiner Existenz haften bleiben, denn alles auf dieser Welt hat nur unwahre Namen. Wenn man alle Dinge auf dieser Welt als vergänglich, leidvoll, richtig und ich-los betrachtet, müssen sie diese vier Phasen durchlaufen: Entstehen, Bestehen, Vergehen und Vernichten. Wenn wir dies verstehen, werden wir nichts bedauern, selbst unseren Körper nicht.

Wir sollten uns nicht von allen äußeren Bedingungen, von den wir leben trennen, sondern von allen Sorgen in unserem Geist. Nur so erreichen wir einen geistigen Frieden. Viele glauben, man kann das Glück von außen bekommen. Sie suchen es deshalb ständig; was aber sinnlos ist. Das wirkliche Glück kann man nicht auf dem Markt kaufen. Seine Heiligkeit sagte dies auch am 18.06.1995, anläßlich Seines Besuches im der Klosterpagode Vien Giac. Dieses Glück wird uns von niemandem gebracht, sondern wir sollen es selbst für uns erzeugen, durch Vernichtung aller geistigen Leiden. Unser Geist hält oft an bestimmten Neigungen und Vorlieben und beurteilt die Dinge als gut, und böse. Wenn wir die Buddhalehre praktizieren, heißt es, dass wir alle überflüssigen Dingen außer Acht lassen sollen. Erst dann wird dieses ewige geistige Glück zu uns kommen. Das ist nämlich entscheidend. Man sagt deshalb auch: Zurück zum Buddhismus bedeutet zurück zu dem eigenen Ich, dem eigenen Geist. Die Buddhanatur sollte man in sich und nicht von außen suchen.

Um die Unwissenheit vernichten zu können, erklärte Seine Heiligkeit ausführlich die 12 Glieder des abhängigen Entstehen: Unwissenheit, gestaltende Tat, Bewußtsein, Name und Körper, 6 Sinnesquellen, Berührung, Empfindung, Verlangen, Ergreifen, Werden, Geburt, Altern und Tod.

Unwissenheit folgt auf Unreinheiten der Vergangenheiten, deren Wurzel anfangslos ist, die zu guten und bösen Taten führen. Gute bzw. böse Taten sind gestaltende Taten. Das Bewußtsein haftet an dem Karma der Vergangenheit als Grundlage für die neue gegenwärtige Existenz. Die neue Existenz hat einen neuen Körper und einen neuen Namen. Sie besitzt auch die sechs Sinnesquellen (Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Geist). In Abhängigkeit von diesen Organen kommt es zur Berührung, welche die verschiedenen Objekte als fröhlich, traurig, ärgerlich etc. im Bewußtsein aufnehmen. Durch das Zusammentreffen von Sinneskraft, Bewußtsein und Objekt entsteht Empfindung von Leid, Glück oder Indifferenz. Als Folge einer solchen Empfindung entsteht Verlangen. Durch das Verlangen entsteht das Ergreifen. Dieses Ergreifen ist die Ursache aller Karmas. Das Karma entwickelt seine volle Wirkungskraft, so dass es die nächste Existenz hervorbringen kann. Wenn das erste Glied der Kette, Unwissenheit, vernichtet wird, entstehen auch die anderen 11 Glieder nicht mehr. Doch es ist sehr schwer, die Unwissenheit zu überwinden, denn man muß zuerst versuchen, das Ergreifen nach Begierde zu vernichten. In den zwölf Gliedern des abhängigen Entstehens stehen Unwissenheit und Begierde an führender Stelle, denn sie ziehen einem in den Kreislauf der Wiedergeburten.

Die Pratyeka-Buddhas visualisieren das Gesetz von Ursache und Wirkung, erstens um sich von Geburt und Tod zu entfernen, zweitens um die Vergänglichkeit zu erfahren, um schließlich alle Karmas zu beendigen und ins Nirwana zu gelangen.

Seine Heiligkeit gab dafür sehr schöne Beispiele: Um Glück zu erreichen, kann man nicht die ganze Erde mit Samt auslegen, damit man keinen Schmerzen spürt, wenn man barfuß läuft. Stattdessen soll jeder für sich die beiden Füße mit Samt einwickeln, damit man keinen Schmerzen hat, wenn man auf diese Welt kommt. Jeder muß für sich die Buddhalehre praktizieren. Das ist der Grundsatz, um Glück zu erreichen. Mir hat diese kurze Stelle sehr gefallen. Es mag sein, wie schön diese Welt auch ist, wenn wir unsere Unreinheiten auf diese Welt bringen, wird sie auch unrein. Man soll den reinen Geist auf diese Welt bringen, somit wird dann auch diese unreine Welt rein, ein Reines Land. Zurück zum obigen Beispiel: Jeder muß daher für sich seine Füße mit Samt einwickeln. Dann wird man keinen Schmerz fühlen. So ist es auch mit der Praxis der Buddhalehre. Wer diesen Grundsatz versteht, der versteht den Buddhismus. Wenn man umgekehrt ständig nach einer allmächtigen Gestalt sucht, die einen rettet, wird man sein Glück bestimmt nicht finden.

Um dies zu verstehen muß man die Natur der Leerheit kennen. Was ist denn eigentlich die Natur der Leerheit? Das ist die Soheit der Existenzen, das Nirwana. Die Soheit der Existenz kann man nicht anfassen, doch sie existiert. Nirwana ist kein Ort, sondern ein befreiender Zustand aus dem Kreislauf der Wiedergeburten, wo es kein Entstehen, Vernichten und Vergehen mehr gibt. Das nennt man Nirwana.

Nach der Vormittagsunterweisung rezitierten die Ordensleute und Seine Heiligkeit ein kurzes Sutra und meditierte für 10 Minuten. Danach gab es eine Pause und das Mittagessen. Die Pause diente den Zuhörern, um sich gegenseitig kennen zu lernen und sich über die verschiedenen Buddhismusschulen auf dieser Welt zu erkundigen. An diesem Nachmittag sprach Seine Heiligkeit ausführlich über die Begierde. Um von dieser Begierde los zu kommen, muß man genau wissen, was sie ist. Der Hochehrwürdige Thanh Thien sagte: „Unser größter Feind ist die Begierde“. Man muß sie vernichten, um Nirwana erreichen zu können. Die Begierde ist ein Schatten, etwas nicht Wahrhaftes, das keinen Namen und Körper hat. Wenn man von der Begierde in den Kreislauf der Wiedergeburten mit hinein gezogen wird, könnte man sehr lange dort verbringen müssen. Die Begierde ist vergleichbar mit einem Honigtropfen, der auf der Oberfläche eines Stücks Kuchen verteilt ist. Da die Menschen Durst haben, sehen sie in dem Honig das Stillen des großen Hungers. Sie stürzen sich auf diesen Kuchen. Erst dann stellen sie fest, dass das Leben wirklich bitter ist. Und es ist dann meist zu spät. Wenn man von der Begierde genug hat und gelitten hat, wird man gelangweilt. Doch nicht lange danach kommt vielleicht wieder ein kurzer Glücksmoment. Und schon verfängt man sich wieder in das Leiden und den Kreislauf der Wiedergeburten. Ein Buddhist, der das Nirwana erreichen will, soll nicht mehr dem gierigen Geist hinterherlaufen. Jeder soll sich bemühen, von der Begierde fern zu halten. Man soll auf das Segen der Buddhas und Bodhisattvas hoffen. Wenn Begierde nicht mehr in uns verweilt, wird unser Geist rein sein. Wir sollten stets die verschiedenen Arten von Leiden visualisieren, denn das sind die kostbarsten Schätze, um die Realität der Vergänglichkeit zu verstehen. Seine Heiligkeit sprach dann über das Madhyamikasastra vom Hochehrwürdigen Nagarjuna und das Vijnaptimatra vom Hochehrwürdigen Vasubhandu.. An dieser Stelle möchte ich einige Grundgedanken dieser beiden Lehre erläutern. Das Madhyamikasastra besteht aus 4 Bänden, das vom Bodhisattva Nagarjunna bearbeitet wurde. Die dazu gehörigen Bemerkungen sind vom Bodhisattva Thanh Muc. Dieses Sastra wurde vom Hochehrwürdigen Kumarajiva aus der Zeit der Dieu Tan Dynastie ins chinesische übersetzt. Es ist eine der drei wichtigsten Sammlung der Madhyamayana-Schule. Dieses Sastra vertritt den mittleren Weg. Es umfaßt insgesamt 496 Lobverse, aufgeteilt in 27 Kapitel. Die ersten 25 Kapitel behandeln die Vernichtung der eigenen Neigungen nach dem Mahayana-Buddhismus. Die letzten zwei Kapitel behandeln die Vernichtung der eigenen Neigungen nach dem Hinayana-Buddhismus. Dieses Sastra enthält Lehre des Mittleren Pfades, welche die Gedanken des Prajna vertritt.

Der tibetische Buddhismus vertieft sich in die Lehre des Madhyamayana und die Philosophie der Natur von Leerheit. Er vertritt die Lehre des Mahayana-Buddhismus auf wirksamste Weise. Diese Lehre wird heute von vielen Westlern studiert. In Europa basiert die westliche Philosophie auf einer, zwei oder drei Thesen. Der Buddhismus dagegen legt keinen Wert auf Thesen, weder auf eine noch zwei. Das ist nämlich der Weg zum Buddhismus. Das Eine enthält alles. In Allem ist das Eine. Wenn etwas vergeht, entsteht etwas anderes. Umgekehrt wenn etwas entsteht, vergeht das andere. Das ist das Gesetz von Ursache und Wirkung.

Bevor wir nun in die Vijnaptimatra-Lehre vom Hochehrwürdigen Vasubhandu vertiefen, sollten einige Merkmale erläutert werden. Vijnapti bedeutet Bewußtsein. Matra bedeutet gesondert, spezifisch. Bewußtsein bedeutet Wissen, Unterscheidung. Davon gibt es 3 bzw. 8 Klassifikationen. Im Avatamsaka-Sutra wird dieses Bewußtsein als Cittamatra genannt. Im Vijnaptimatratasiddhi-Sastra wird es Vijnaptimatra genannt. Cittamatra umfaßt sowohl die Ursache als auch die Wirkung aller Dinge; während Vijnaptimatra nur von der Ursache spricht.

Der Hochehrwürdige Nagarjuna hat gelehrt: Wenn eine Tathandlung vollendet wird, entsteht eine neue Erscheinung. Die Vollendung von einer Tathandlung bedeutet nicht das absolute Ende, denn sie ist zugleich der Anfang einer neuen Tathandlung. Die Vollendung einer Tathandlung ist die Wirkung von einer vergangenen Ursache. Sie ist aber gleichzeitig der Anfang, die Ursache für eine zukünftige Wirkung. Und so entsteht eine neue Tathandlung während eine andere vollendet wird. Sie wechseln sich gegenseitig und bilden den Kreislauf der Wiedergeburten. Die Lamrim-Lehre von Hochehrwürdigen Tsongkhapa spricht über das Bardo. Das Bardo ist die Zeit zwischen dem Tod und der Wiedergeburt. Dieses Bardo ist aufgrund des jeweiliges Karmas des Sterbenden unterschiedlich lang. Normalerweise dauert es 49 Tage, denn danach erlischt das Bardo. Wenn das Bewußtsein innerhalb dieser Zeit keine Wiedergeburt findet, wird es in die umherirrenden Geister verwandelt, denn wes findet keine Bleibe.

Über die Natur der Leerheit erklärte Seine Heiligkeit: Alle Dinge auf dieser Welt sind nur Erscheinungen. Nichts ist wahr. Daher soll man das Ich vernichten, um alle Leiden zu löschen. Alle Erscheinungen entstehen durch bestimmte Bedingungen. Nur durch das Festhalten an den Dinge und bevorzugten Neigungen werden die Menschen in den Kreislauf der Geburten hinein gezogen. Man soll deshalb alles loslassen und lieber auf die Geburt in eine bessere, höhere Welt, in die Welt der Buddhas und Bodhisattvas, streben. Ansonsten wird man in eine der niedrigeren Welten wiedergeboren. Um dies zu erreichen, muß man besser auf seinen Geist Acht geben. Man soll ihn kontrollieren und anhalten. Unser Geist wird bestimmt still sein und sich verändern. Dies können wir durch die Einhaltung der Gebote und Verpflichtungen erreichen. Wir können dann Konzentration erreichen, die uns hilft, die Natur der Leerheit zu erkennen.

Es ist auch gut zu wissen, was die sechs Saddharma in den Zen-Schulen sind, wenn man sie visualisiert, bevor wir in Details gehen. Das sind die sechs wunderbare Meditationsschritte, die uns den Weg zur Erleuchtung führen.

Der erste Schritt heißt die Atemzüge zählen. Unser Geist ist ständig in Bewegung und bleibt nicht still. Er ist vergleichbar mit dem Glas Wasser. Wenn man das Glas schüttelt, kommt der Schmutz vom Glasboden nach oben und macht das Wasser trübe. Wenn man das Glas Wasser wieder abstellt, sinkt der Schmutz im Wasser wieder auf dem Glasboden. Wir sollten bei dieser Methode unsere Atemzüge beobachten. Beim Ein- und Ausatmen zählen wir eins, danach zwei, drei und schließlich bis zehn. Bei zehn angelangt, zählen wir rückwärts, neun, acht, sieben usw. Wir sollten es ständig machen und dabei an nichts denken. Manchmal vergessen wir es natürlich. Die Vergessenheit zeigt, dass unser Geist noch nicht ruhig ist. Er ist immer noch unrein, so wie das trübe Wasser im Glas. Nachdem wir unsere Atemzüge für eine Zeit lang kontrollieren können, sollten wir einen Schritt weiter gehen, zum zweiten Schritt. Wir sollten immer wachsam sein und wissen, was wir während der Meditationssitzung machen. Wir sollen wissen bei welcher Zahl wir angelangt sind und wie sich unser Geist ändert. Der dritte und vierte Schritt heißen Samatha und Vipasyana. Samatha bedeutet anhalten, ruhiger Zustand, beenden von Unwahrem. Vipasyana bedeutet visualisieren. Man soll die wahre Buddhanatur, die Natur aller Dinge erkennen. Der fünfte Schritt führt den Meditierenden zurück zu seinem Geist. Dabei ist es besonders zu beachten, dass der Meditierende sich selbst nicht als jemanden betrachtet, der versucht, das Böse, die Unreinheiten zu vernichten. Wenn er dies tut, hat er die Methoden der anderen Ungläubigen angewendet. Dies sollte er auf keinen Fall tun. Er soll nur sein Selbst erkennen.

Der sechste und letzte Schritt dieser Meditationsmethode ermöglicht den Meditierende ihren Geist in einen ruhigen Zustand zu bringen. Wenn der Meditierende dabei denkt, dass sein Geisteszustand rein ist, hat er das Ziel noch nicht erreicht, und zwar, weil er noch Empfindung hat, dass etwas ruhig oder unruhig ist. Wenn er erkennt, dass es weder Ruhe noch Unruhe gibt, dann hat er diese Technik vollendet. Er wird Weisheit erlangen und von allen Unreinheiten befreit.

Den ganzen Nachmittag des 29.10.1998 sprach Seine Heiligkeit über den 14. Teil, über „die Entwicklung des Bodhigeistes“. Die Entwicklung des Bodhigeistes ist eine wichtige Säule im Buddhayana. Der Bodhigeist ist die Basis aller Taten eines praktizierenden Bodhisattvas. Er ist vergleichbar wie eine gute Medizin oder die Aura, die einem umgibt. Jede Tat enthält Verdienste und Weisheit. Es ist als ob er ein Haus ist, das alles Kostbare beherbergt. Es ist das Ergebnis jedes einzelnen praktizierenden Bodhisattva, wenn sie ihren Bodhigeist entwickeln. Der Hochehrwürdige Tsongkhapa war ein Yogi, der diesen Weg ging. Wenn auch wir die Erleuchtung wollen, rät er uns, diesen Weg zu praktizieren. Obwohl dieser Textabschnitt nur so kurz war, hatte Seine Heiligkeit sehr ausführlich den ganzen Tag darüber gesprochen. Die Zuhörer folgten mit Achtsamkeit, denn sie wollten die Erleuchtung erlangen. Wenn man den Bodhisattva-Weg praktiziert, muß man seinen Bodhigeist sehr stark entwickeln, denn dadurch können heilsame Verdienste gesammelt und Weisheit entstehen. Wenn man diesen Bodhisattva-Weg geht, aber seinen Bodhigeist nicht stark entwickelt, dann ist es so, als ob man ein großes Haus hat, das aber ganz leer ist.

Der Hochehrwürdige That Hien aus China, der gegen Ende des 17. oder Anfang des 18. Jahrhundert geboren wurde, hat einen kurzen Text zum Thema „Entwicklung des Bodhigeistes“ verfaßt. Dieser Text wurde vom Hochehrwürdigen Thich Tri Quang ins Vietnamesische übersetzt. Den Lesern stehen die Haare zu Berge, wenn sie diesen Text lesen.

„Obwohl der Meister That Hien sehr hoch gebildet war, war er sehr herzlich und legte großen Wert auf die Praxis der Buddhalehre. Nach seinem Eintritt ins Kloster fragte er die hohen Würdenträger nach dem Todestag des Shakyamuni-Buddha. Im Frühling des Jahres 1719 (Jahr des Schweines) machte er eine Reise zum Asoka-Kloster, in dem Reliquien von Buddha in einem Pagoden-Turm aufbewahrt werden. Das Asoka-Kloster liegt auf dem Tu Minh Berg. Diese Pagode ist eine von 19 Pagoden in China, in der noch Reliquien von Buddha aufbewahrt werden. Sie wurde 280 vom Bodhisattva Loi Tan errichtet. Nach der Verehrung der Reliquien, blieb er dort während der Klausurzeit. Danach brannte er sich selbst einen Finger als Opfergabe an den Buddha. Im Frühling des darauffolgendes Jahres kehrte er zum Tu Minh Berg zurück, um eine große Zeremonie anläßlich des alljährlich begangenen Todestag des Buddha zu veranstalten (Kapitel 109, S. 305 b). Am darauffolgenden Tag führte er Niederwerfungs- und Reuezeremonien durch, bei den er seine bearbeiteten Sutrentexte zur Verehrung von Sariputra und das Nibbana-Sutra benutzte. Nach dem 7. Tag war er fertig. Danach rezitierte er Buddhanamen und widmete seine Verdienste allen Lebewesen. Er trug den Wunsch, jedes Jahr bis zu seinem Tod diese Zeremonien zu wiederholen. Doch diesen Wunsch konnte er nur 10 Jahre lang (1719-1729) realisieren. Danach erkannte er, dass der lange Reiseweg für ihn und seine Leute zu mühsam war. So blieb er in seinem Wohnort im Tien Lam Kloster und zelebrierte jedes Jahr den Todestag des Buddha auf die gleiche Weise, wie er es auf dem Tu Minh Berg getan hat. In den 10 Jahren, in denen er die Zeremonien auf dem Tu Minh Berg ausgeführt hatte, brannte er sich selbst der Reihe nach fünf Finger im Kloster Asoka.

Man weiß nicht genau, wann dieser kurze Text entstand; doch eins ist sicher, er muß entstanden sein während der Zeit, in der der Meister im Asoka-Kloster weilte. Die Laienschaft, die diesen Text gehört hatte, waren die Laien, die mit ihm praktiziert hatten. In dem Text werden die 48 Gelübde erläutert. Sie sind bis heute erhalten geblieben und tragen den Titel „Gelübdetext der Nibbana-Gruppe“. Der Meister That Hien legte ein großes Gelübde ab, indem er 10 Jahre lang unter dem Pagodenturm des Asoka-Kloster Niederwerfungs- und Reuezeremonien ausgeführt hatte. Hinzu brannte er sich selbst 5 Finger um sie dem Buddha zu opfern. Das war eine gute Tat von ihm, den Buddha zu verehren und den Buddhismus zu bewahren. Nach diesen 10 Jahren praktizierte er zusammen mit den Laien die Lehre vom Reinen Land.

Banh Te Thanh hat zu dem Text vom Hochehrwürdigen That Hien kommentiert. Er schreibt, dass er jedes Mal beim Lesen sehr gerührt ist und schwitzt. Der Hochehrwürdige war ein großer Meister, der ein großes Gelübde hatte. Er ist ein Vorbild für alle, besonders in diesem schweren Dharmazeitalter (Tuc Tang, Kapitel 109, Seite 295 a)“. (Hochehrwürdige Thich Tri Quang, Phat Bo De Tam, Seite 14-18, Vorwort)

Das hier ist nur eine Möglichkeit von vielen anderen Möglichkeiten, den Bodhigeist zu entwickeln. In Vietnam gibt es auch viele große Meister, die ähnliche große Gelübde ablegten. Ein Beispiel war z.B. der Hochehrwürdige Thich Quang Duc, der am 20. April 1963, sich selbst als Opfergabe an die Buddhas verbrannte. Seine Verbrennung galt auch als Protest gegen die damalige vietnamesische Regierung unter Ngo Dinh Diem. Dieser unterdrückte den Buddhismus und gewährte keine Religionsfreiheit in einem demokratischen Staat. Nach seiner Selbstverbrennung blieb sein Herz unzerstört zurück. Auch nachdem sein Leichnam bei 1.000 Grad zweimal verbrannt wurde, blieb es erhalten. Die vietnamesischen Buddhisten halten dieses Herz für unzerstörbar. Bis heute wird dieses Herz in der Nationalbank von Saigon aufbewahrt.

In Japan, Korea oder Tibet und überall auf der Welt, wo die Buddhisten den Bodhisattva-Weg gehen, gibt es große Gelübde. Wenn wir unseren Bodhigeist entwickeln, ist unser Gelübde so groß, dass es auch unsere Erleuchtung auf eine hohe Stufe bringt. Unser Bodhigeist wird dieses weltliche Leben in ein reines, erleuchtetes Leben umwandeln. Wenn wir den Bodhisattva-Weg praktizieren, sollen wir ihn kontinuierlich und lange gehen. Das Verdienst dieser Praxis sind Weisheit und Barmherzigkeit. Der Praktikant muß verdienstvolle Taten sammeln. Diese kann er durch die Praxis der sechs Paramitas erwerben. Spendefreudigkeit ist eine der sechs Paramitas. Der Praktikant soll auch Barmherzigkeit allen Lebewesen erweisen und nach Weisheit streben, vor allem über die Natur der Leerheit, um die Erleuchtung zu erlangen.

Barmherzigkeit ist das Gepäck der Buddhas und Bodhisattvas. Auch die Buddhisten, die dem Bodhisattva-Weg folgen sollen die Barmherzigkeit als Grundlage nehmen. Von den vier Unermeßlichkeiten (Liebende Güte, Mitgefühl, Mitfreude, Gleichmut) können heilsame Verdienste nur durch liebendes Mitgefühle erzielt werden. Buddha hat zu seiner Zeit überall, wo er hinging, liebendes Mitgefühl allen gegenüber gezeigt. Deshalb haben die Menschen damals viel Segen und Verdienste gehabt. Auch dasselbe liebende Mitgefühl des Buddha hat heute nahezu eine Milliarde Buddhisten auf der Welt überzeugt, seiner Lehre zu folgen. In Amerika und Europa praktizieren sehr viele Menschen die barmherzige Lehre des Buddha. Als Beispiel steht dafür die Veranstaltung in der Zeit vom 26. Oktober bis zum 1. November 1999 in einem kleinem Ort in Norddeutschland, an der über 10.000 Menschen teilnahmen. Das liebende Mitgefühl des Buddha hat heute viele Menschen erreicht und es hilft ihnen auf ihrem Weg der Weisheit und Wohlfahrt für alle Lebewesen von heute und morgen.

Der Bodhigeist ist ein kostbarer Schatz, der zu Erleuchtung führt. Er verwandelt Metall in Gold. Er verwandelt auch schlechte Herzen in gute Herzen. Diesen Schatz kann man nicht von außen sondern nur im eigenen Inneren selbst finden. Wir müssen unsere wahre Buddhanatur in uns selbst entdecken.

Wenn ein Buddhist seinen Bodhigeist entwickeln will, sollte er zwei Grundsätze beachten. Ersten, er gelobe Buddha zu werden und zweitens mit seinen Verdiensten allen Lebewesen zu dienen. Der Samantabhadra-Bodhisattva legt 10 große Gelübde ab. Von diesen 10 wurden 4 Gelübde ausgewählt und in einigen buddhistischen Traditionen wie z.B. in China, Japan, Korea und Vietnam praktiziert. Die 4 Gelübden sind:

Es gibt unzählige Lebewesen.

Ich gelobe allen zu helfen.

Es gibt unzählige Unreinheiten.

Ich gelobe sie alle zu beenden.

Es gibt unzählige Dharmawege.

Ich gelobe sie alle zu praktizieren.

Es gibt keinen anderen besseren Weg als den Buddhaweg.

Ich gelobe, ihm bis an sein Ziel zu folgen.

Das erste Gelübde lautet allen Lebewesen zu dienen, das zweite alle Unreinheiten zu beenden, das dritte alle Dharmawege zu praktizieren und das vierte zur Buddhaschaft zu erlangen. Obwohl es im tibetischen Buddhismus nur zwei Gelübde gibt, enthalten sie dennoch die Bedeutung aller vier, so wie die Gelübde der anderen nördlichen Buddhismusschulen.

Der Meister Santideva hat ebenfalls seinen Bodhigeist entwickelt und uns gelehrt, dass wir stets an unsere Eltern denken und sie verehren sollen. Wir sollen für unsere Eltern beten, denn sie sind unsere geistige Stütze, solange wir noch nicht erleuchtet sind. Gerade jetzt, wo wir die Buddhalehre praktizieren, sollen wir unsere Pflicht den Eltern gegenüber gewissenhaft ausführen. Wir beten, dass unsere Eltern in Frieden, im Dharmasegen leben mögen. Wir sollen auch an die Menschen um uns denken, vor allem müssen wir ihre gute positive Seite, und nicht etwa die negativen, schlechte Seite, hervorheben. Wir sollen eher Mitgefühl und Liebe als Haß zeigen. Auch sollen wir keine Unterschiede zwischen Freund und Feind machen. Haß und begrenzte Mitgefühle führen zur Wiedergeburt im nächsten Leben. Im Bodhisattva-Sutra lehrte Buddha, dass man keine Haßgefühle entwickeln soll. Auch wenn jemand unser Vater oder unsere Mutter tötet, sollen wir ihm keine Rache schwören. Ein Bodhisattva darf niemanden über Nacht hassen oder auf ihn böse sein. Wir sollen immer an die positiven Werte der Mitmenschen denken, damit wir Frieden in uns selbst finden können. Die negativen Seite der Mitmenschen sollen wir gar nicht beachten, denn das sind Überreste, die die Leute wegwerfen und wir unwissentlich auf uns nähmen. Warum sollten wir den Müll anderer Leute in uns aufnehmen? Wie wäre es, wenn wir sie als Gleichgesinnte betrachteten, die immer gutmütig zu uns wären. Sie könnten unsere Lehrer oder Freunde sein. Sie sind letztendlich Mitmenschen, die uns umgeben, die uns auch auf unseren Erleuchtungspfad begleiten.

Wir sollten auch nicht Gleichberechtigung mit Gleichgültigkeit verwechseln. Gleichberechtigt bedeutet, dass die Lehre des Buddha keinen Unterschied zwischen arm und reich macht. Alle Menschen können seine Lehre praktizieren und die Erleuchtung erreichen. Wie schnell man aber die Erleuchtung erreicht, hängt lediglich von der Zeit und Intensität ab, in der man die Buddhalehre praktiziert. Die Menschen haben unterschiedliche Karmas, Fähigkeiten und Möglichkeiten. Nehmen wir das Beispiel mit dem Regen. Der Regen macht keinen Unterschied wohin er fällt, ob Wälder, Seen, Felder. Doch in einem Wald gibt es unterschiedliche Bäume, die verschiedens groß sind. Große Bäume saugen mehr Wasser ab als kleine Bäume. Der Regen fällt überall gleich auf die Erde. So ist nämlich die Gleichberechtigung im Buddhismus. Gleichgültigkeit dagegen bedeutet, dass wir uns nicht bewußt sind über unser Handeln und unsere Taten; auch die tägliche Praxis vernachlässigen wir. Das kann man ganz und gar nicht Gleichberechtigung nennen.

Wir sollten auch üben, zu nehmen und zu geben. Wir nehmen Spenden und schätzen die Gebefreudigkeit anderer Menschen. Gleichzeitig müssen wir auch unsere Hilfe anderen Menschen, die sie benötigen, anbieten. Das Nehmen und Geben sollen das liebende Mitgefühl unter uns verbreiten. Niemand kann den inneren Frieden in dem Leiden anderer Menschen finden. Der Fortschritt, der die Wissenschaft und Technologie heute erreicht, ist schwindelerregend. Wenn irgendwo in der Welt, mag es irgendwo am Ende der Welt sein, etwas passiert, dann wird die Nachricht binnen einer Sekunde durch die ganze Welt geschickt. Man kann sich durch das Telefon oder Telefax stundenlang unterhalten oder schreiben. Doch wir denken unbewußt nicht an unsere nahen Verwandten, Eltern, Ehepartner, Kinder; ja nicht einmal an uns selbst. Wir können andere Mitmenschen leicht verstehen; doch was ist mit uns selbst. Es ist doppelt so schwer. Der Dharmaweg führt nach innen und nicht nach außen. Je falscher unsere Ansichten sind, desto leidvoller ist unser Leben. Wo ist denn dann das ewige Glück!

Seine Heiligkeit sagte: „Die Tibeter verehren Gandhi, denn er hat liebendes Mitgefühl. Das ist sehr gut und Mahatma Gandhi ist einer der besonderen Menschen auf der Welt“. Indien stand unter der Kolonieherrschaft der Briten. Die Menschen mußten viele Jahre leiden und sie verloren alles. Der heilige Mahatma Gandhi hat Indien durch seinen gewaltlosen Einsatz von der Kolonieherrschaft der Briten befreit. Das ist der Weg des Hinduismus und Buddhismus, den viele Menschen, selbst Gandhi damals und Seine Heiligkeit heute, gegangen sind. Seine Heiligkeit setzt sich auch für ein freies Tibet ein und sucht sich den gewaltlosen Weg aus, um Tibet von der chinesischen Oberherrschaft zu befreien.

In Indien leben fast eine Milliarde Menschen. Mehr als die Hälfte von ihnen ernähren sich vegetarisch. Die Inder haben Mitgefühl mit anderen Lebewesen. Sie möchten den anderen Lebewesen kein Leid zufügen, so wie es in ihrer hinduistischen Lehre steht. Wenn man Indien besucht, wird man feststellen, dass selbst die Kühe und Vögel sehr sanftmütig sind. Die Tiere leben in unmittelbarer Nähe bei den Menschen. Doch dies soll nicht bedeuten, dass es in Tibet und Indien keine Schlachter gibt. Gläubige anderer Religionen führen diesen Beruf aus, den nur wenige Inder tun wollen.

Menschen, die nur für sich selbst leben, haben oft Schwierigkeiten in ihrem Leben. Wahrscheinlich, weil sie kein Mitgefühl haben. Sie glauben wenn sie etwas geben, geht es verloren; wenn sie es aber für sich behalten, bleibt es. Doch sie wissen nicht, dass dieser Grundsatz umgekehrt wirkt, nämlich, was sie weggeben bleibt und was sie festhalten, geht verloren. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, was wir denn erreichen wollen, wenn wir so habgierig und geizig leben. Warum waren die Buddhas und Bodhisattva dagegen gebefreudig? Ein gebefreudiges und mitfühlendes Leben wird von vielen Menschen hochgeachtet. Es ist ein ehrenwürdiges Leben. Ein geiziges Leben dagegen stellt die Gegenposition dar. Der Grund dafür ist die Unwissenheit, die wir Menschen haben. Wir achten zu sehr auf unser Ich und die äußeren Dinge um uns. Wir fesseln uns selbst mit diesen falschen Ansichten. Wir unterscheiden zwischen Gut und Böse, Liebe und Haß. Das Festhalten an unserem Ich ist unser Gefängnis. Es zieht uns mit in den Kreislauf der Wiedergeburten, wo wir immer wieder Geburt, Altern, Krankheit und Tod erleiden müssen. Das alles ist ein Gefängnis, das uns einsperrt. Daher sollten wir unseren Bodhigeist ganz stark entwickeln. Dies tun wir nicht nur für uns, sondern für alle Lebewesen. Dieses Gelübde des großen Mitgefühls ist gleichzeitig unsere Aufgabe, alle Lebewesen aus dieser leidvollen Samsara-Welt zu führen. Um das zu erreichen, müssen wir alle Menschen als gleichberechtigt ansehen und behandeln. Dazu gibt es sehr viele Möglichkeiten und Wege.

Das heutige Thema war ziemlich interessant, weshalb die 10.000 Zuhörer fünfeinhalb Stunden lang (zweieinhalb Stunden am Vormittag und 3 Stunden am Nachmittag) dem Vortrag mit Achtsamkeit verfolgten. Alle hatten mehr oder weniger von dieser Unterweisung etwas für sich gewinnen können.

Am Abend wurde zwischen 18:00 bis 20:00 Uhr ein Film über die Verfolgung und Unterdrückung des Buddhismus in Burma und Tibet gezeigt. Die Veranstalter dieses Filmvortrags waren Dr. Kajo Schukalla, Ama Adhe (Tibet), Ulrich Delius (Gesellschaft für bedrohte Völker), Helmut Steckel (Tibet Initiative Deutschland). Das tibetische und burmesische Volk sind die zwei Völker, die zur Zeit stark unterdrückt werden. Seit mehr als 40 Jahren, seitdem die Chinesen in Tibet einmarschierten; gibt es mehr als 1,2 Millionen Tote. Viele Mönche und Nonnen wurden verhaftet, in Gefangenschaft gehalten. Viele buddhistische Klöster und Institute wurden zerstört. Die tibetische Kultur wird zerstört und assimiliert. Die chinesische Regierung verstärkt in letzter Zeit ihr Vorhaben Chinesen nach Tibet umzusiedeln. Die Zahl der lebenden Chinesen ist viel höher als die tibetische Bevölkerung. Das ist eine deutliche Assimilationspolitik von Seiten der chinesischen Regierung. Genauso wie die vietnamesische Regierung, die in den 80er Jahren diese Politik in Kambodscha übte. Sie trieben Vietnamesen nach Kambodscha. Doch am Ende wurden die Vietnamesen aus Kambodscha zurückgedrängt. Tibet und Kambodscha gelten als heiliges Land. Wenn eine andere Macht dort eindringt, wird sie sich eines Tages von selbst wieder zurückziehen müssen. Auch wenn die Eroberer noch viel stärker als die Einheimischen sind, werden die Einheimischen immer ihre Kultur und Tradition hüten. Das ist auch die buddhistische Lehre von dem Gesetz der Ursache und Wirkung. Natürlich dürfen die Unterdrückten nicht einfach still sitzen und alles geschehen lassen, sondern sie müssen für ihre Freiheit kämpfen. Menschen aus allen Schichten müssen ihre Aufgabe und ihren Beitrag leisten, denn nur so können sie ihre Demokratie und Freiheit zurückgewinnen und sich von der fremden Oberherrschaft befreien.

Geschichte besteht aus vielen Epochen. Jede Epoche, jede Periode ist unterschiedlich. Sie reihen aneinander und bilden somit die Geschichte. Wir sollen wissen, dass die Menschen keine Opfer der Geschichte sind, denn Geschichte hat immer neue Seiten. Das ist das Ursache- und Wirkungsgesetz im Buddhismus. Nichts kann ewig existieren. Alle Dinge unterstehen dem Gesetz des Entstehens und Vergehens. Burma, z.B., ist ein Land mit buddhistischer Tradition. Der Buddhismus blieb bislang für die Außenwelt verschlossen. Doch in letzter Zeit werden buddhistischen Ordensleute und Intellektuelle von der Regierung grausam unterdrückt. Bislang hat Burma kaum Kontakte mit der Außenwelt. Deshalb wissen sehr wenig Menschen im Westen über die Menschenrechtsverletzung und Religionsunterdrückung in Burma. Doch auch seit einigen Jahren wurde die Weltöffentlichkeit über die Situation in Burma informiert. Die unterdrückte Bevölkerung in Burma fordert die Welt auf, ihren Kampf für die Freiheit zu unterstützen.

Auch in Vietnam werden Menschenrechte und Religionsfreiheit aufs heftigste verletzt. Die Religion unter den kommunistischen Regimen wie z.B. in China, Kuba und Nordkorea dienen nur als Werkzeug der politischen Macht. Sie benutzen die Religion nur zu Propagandazwecken. Doch früher oder später wird die unmenschliche Taktik von den Gläubigen erkannt. Warum haben denn die kommunistischen und diktatorischen Regierungen so viel Angst vor der Religion? Die Antwort ist, weil die Religion eine starke Macht der Bevölkerung darstellt. Obwohl die Religionsanhänger keine Waffen besitzen wie das Militär, ist ihre Kraft, die sie durch ihren starken Glauben schöpfen, sehr groß. Ihr Glauben ist noch stärker als alle Metallmauern. Aus diesem Grund haben die unterdrückenden Regierungen Angst. Alle Religionen lehren ihre Anhänger mit der Wahrheit zu leben. Stattdessen verbreiten die kommunistischen Regierungen Unwahrheiten und unterdrücken ihr Volk.

Viele deutsche Organisationen unterstützen den gewaltlosen Kampf für ein freies Tibet. Neulich hat Seine Heiligkeit den Chinesen angeboten, sie könnten militärisch und außenpolitisch über Tibet herrschen; doch innenpolitisch und religiös sollten sie dem tibetischen Volk freie Entscheidungen lassen. Die chinesische Regierung ist damit nicht einverstanden, denn sie will Tibet ganz besitzen. Die Habgier der Menschen ist wirklich grenzenlos. Seine Heiligkeit hat den Medien auch gesagt, falls es zu einer demokratischen Wahl in Tibet käme, dass er bereit wäre, sein Amt abzugeben, wenn das tibetische Volk es so will.

Er würde die Entscheidung des tibetischen Volk mit Freude akzeptieren und nur als ein gewöhnlicher Lama fungieren. Fast überall in der Welt herrscht die Demokratie. Und so will er auch die Entscheidung seines Volkes respektieren. Der Staatsoberhaupt muß seine Pflicht dem Volk gegenüber erfüllen und dem Wohle des Volkes dienen.

Nach dem Film und der Diskussion über die Unterdrückung in Tibet und Burma meditierten die Teilnehmer. Anschließend diskutierten sie zusammen mit Lama Lodrö über Lamrim. Ein großer Teil der Deutschen, die sich aktiv für ein freies Tibet einsetzen, nahmen an dieser Diskussionssitzung teil.

Der fünfte Tag (Freitag, 30. Oktober 1998)

Seine Heiligkeit betrat das große Zelt heute um 9:00 Uhr. Zunächst machte er drei Niederwerfungen und stieg dann zum Podest. Von dort Oben aus schaute er alle Leute lächelnd an. Danach rezitierte er zusammen mit den anderen Ordensleute etwa 10 Minuten lang. Heute wollten viele Deutsche Zuflucht zu den Drei Juwelen nehmen und seine Schüler werden. Seine Heiligkeit war sehr erfreut. Trotzdem sagte Er zu ihnen, sie könnten jeden beliebigen Lehrer und nicht unbedingt ihn aussuchen. Doch die Menschen verehren Seine Heiligkeit und möchten ihn als ihren geistigen Lehrer haben.

Zu Beginn zeigte Seine Heiligkeit den Menschen, die die Zuflucht nehmen wollten, wie man drei Niederwerfungen macht. Sie verehrten Seine Heiligkeit, ihren neuer Dharma-Lehrer dann mit drei Niederwerfungen. Danach knieten sie sich hin, falteten ihre Hände zusammen und hörten Seiner Heiligkeit aufmerksam zu. Das ist die höflichste Geste, sich den Meistern gegenüber zu benehmen. Natürlich hat jedes Land seine Gebräuche und Sitten. In Japan bedeutet es Höflichkeit, wenn man mehrere Male den Kopf nach vorne beugt. In China und Vietnam falten die Leute ihre Hände zusammen. In Europa begrüßt man die königlichen Gäste, indem man ihre Hand hält und dabei leicht in die Knie geht. Die Buddhisten machen Niederwerfungen vor den Füßen Buddhas. Das sind die höflichsten Gesten. In Tibet sitzt man in kniender Position vor einem Dharmalehrer und faltet die Hände zusammen. Als ich es das erstemal sah, fand ich es ein bißchen befremdlich. Doch dann gewöhnte ich mich daran.

Seine Heiligkeit sprach über die Zuflucht zu den Drei Juwelen und erzählte den Zufluchtnehmern, dass sie nicht unbedingt ihre ursprüngliche Religion aufgeben sollten, um Buddhist zu werden. Buddhist ist man, wenn man die Buddhalehre versteht und sie praktiziert. Das soll als erster Schritt dienen, denn Seine Heiligkeit möchte keine Konfrontationen mit den einheimischen Religionen. War das etwa der Grund? In Deutschland treten täglich viele Menschen aus vielen unterschiedlichen Gründen aus ihrer Kirche aus. Sie wollen frei sein und nicht mehr einer traditionellen Religion angehören. Letztendlich, wenn man sich intensiver mit der Buddhalehre beschäftigt und sie praktiziert, vor allem die Lehre der Mahayana und Vajrayana-Richtungen, dann wird man feststellen, dass es nur einen Buddhaweg gibt. Heute gibt es ca. 200.000 Deutsche, die Zuflucht zu den Drei Juwelen genommen haben und mehr als 400 buddhistische Zentren und Vereine in Deutschland. Das war die Statistik vom Jahre 1999. Vor 1977 entwickelte sich der Buddhismus nur langsam in Deutschland. Im kommenden 21. Jahrhundert wird er sich sicher noch stärker entwickeln und einen wichtigen Beitrag in Europa leisten. In Europa gibt es zur Zeit eine schwere geistige Krise. Natürlich braucht der Buddhismus keine hohe Anhängerzahl. Ob viel oder wenig spielt keine Rolle, denn der Buddhismus hat noch niemanden konvertiert. Wer den Buddhismus mag, der kann kommen. Wer ihn nicht mag, schadet ihm auch nicht. Niemand wird dazu gezwungen, oder mit anderen Mittel zur Konversion gelockt, denn der Buddhismus ist eine freie, offene Religion.

Nach der Leitung der Zufluchtnahme für viele Menschen begann Seine Heiligkeit mit der Dharmaunterweisung. Er setzte sie fort mit dem Thema „Die Entwicklung des Bodhigeistes“.

Wir sollten stets denken, dass alle anderen Lebewesen besser als wir selbst sind. Deshalb sollten wir uns selbst und für andere Gelübden ablegen, die Erleuchtung zu erlangen. Nur so wird unser Geist erfreut sein. Das ist eine große Tat. Normalerweise verstricken wir uns zu sehr in unser Ich, in alles, was uns gehört etc. Doch ein Buddhist, der seinen Bodhigeist entwickelt sollte stets alle Lebewesen in dieser Samsarawelt ehren, denn alle besitzen die Buddhanatur. Diese Buddhanatur ermöglicht allen Menschen, Buddha zu werden. Nur so können wir unser Ich beseitigen und unseren Bodhigeist entwickeln. Wir sollten immer daran denken und uns vergegenwärtigen, dass Buddha vor uns steht und uns den Weg zur Erleuchtung führt. Selbst die hohen Meister und Patriarchen wie Vo Truoc und The Than, hatten Buddha als Leitfaden zu ihrem Ziel gehabt. Wir sollten immer daran denken, dass die Buddhas, Bodhisattvas und Patriarchen überall um uns sind. Sie betrachten uns wie ihre eigenen leiblichen Kinder. Sie achten auf uns und führen uns den Weg. Außerdem sollten wir auch daran denken, dass die anderen Lebewesen um uns ebenfalls dieses Glück besitzen. Somit werden alle Menschen glücklich. Je stärker jemand seinen Bodhigeist entwickelt, desto größer ist das Resultat. Es ist genauso wie jemand, der viele Reiskörner aussät. Wer viel sät wird auch viel Reis ernten können. Wir sollten uns deshalb mehr anstrengen und mehr an andere als an uns selbst denken. Dadurch werden wir mehr Verdienste für uns erzielen. Unsere Buddhanatur wird dann sicherlich zum Vorschein kommen.

Als nächstes sprach Seine Heiligkeit kurz über den Buddhismus in Vietnam und China. Er erwähnte auch, dass Vietnam ein Opfer des Kommunismus ist. Seine Heiligkeit hat sehr viele Gelegenheiten gehabt, vietnamesische Gemeinde und Tempel in vielen Ländern auf der Welt zu besuchen. Er betonte, dass man überall, unter allen Umständen, stets an die „Drei Juwelen“ denken muß. Sie sind eine wichtige Stütze für unsere geistige Entwicklung. Bezüglich des chinesischen Buddhismus zeigte Seine Heiligkeit großes Verständnis für die besondere Situation. In China wurden viele berühmte und historische Kloster nach der Revolution zerstört; viele Mönche und Nonnen sowie Buddhisten wurden inhaftiert, getötet. Seine Heiligkeit hat keinen Haß auf die Chinesen. Umgekehrt: er hat Mitleid und Verständnis für die, die unter einem solchen politischen System leben müssen.

Als Bodhisattva mit dem Wunsch, allen Lebewesen zu helfen, macht Seine Heiligkeit keinen Unterschied zwischen nah, fern, verwandt oder nicht verwandt. Er betrachtet und behandelt alle Menschen gleich. Da Seine Heiligkeit seit 40 Jahren im Exil lebt, versteht Er sehr gut die Situation der Exilanten über den Verlust ihrer Heimat. Dieses Leiden der Menschen ist auch die Sorge Seiner Heiligkeit für die Welt und für die Zukunft Tibets.

Als nächstes sprach Seine Heiligkeit über die 7 Gelöbnisse eines Buddhisten, der die Buddhalehre praktiziert.

Das erste Gelöbnis betrifft die karmischen Verdienste. Diese heilsamen Verdienste sind kostbares Gut, das die Buddhas und Bodhisattvas erwerben. Ein praktizierender Bodhisattva soll ständig beten, dass die Buddhas und Bodhisattvas immer auf dieser Welt verweilen mögen, um den Lebewesen zu helfen. Da die Buddhas und Bodhisattvas voller Verdienste sind, können wir uns an sie richten, um unseren Bodhigeist zu entwickeln.

Das zweite Gelöbnis betrifft die Zufluchtnahme zu den Drei Juwelen Zuflucht. Man soll an die Kraft der Buddhas und Bodhisattvas, an die Lehre des Buddha und an den Sangha glauben und dadurch den Bodhigeist stärken. Wir geloben allen Lebewesen zu helfen und gemeinsam die Erleuchtung zu erlangen. Wir geloben zu allen Lebewesen barmherzig zu sein, denn auch das ist ein großes Verdienst.

Das dritte Gelöbnis sagt, dass die Buddhanatur aller Lebewesen gleich ist. Jeder von uns möchte Frieden und Glück und kein Leid haben. Daher sollten wir den anderen kein Leid zufügen, denn alle besitzen die Buddhanatur. Es ist so, als ob jeder von uns ein Ackerfeld besitzt. In diesen Feldern wächst aber auch Unkraut. Wir sollten das Unkraut jäten und nicht auf das Feld anderer werfen.

Das vierte Gelöbnis besagt wir sollten unser Geist benutzen, um zu erkennen dass auch der Geist anderer Lebewesen rein ist, denn die Buddhanatur aller Lebewesen ist gleich. Der Geist jedes einzelnen mag durch die Geistesgifte befleckt sein; seine Natur bleibt aber trotzdem rein. Jeder besitzt die Fähigkeit, Buddha zu werden.

Das fünfte Gelöbnis sagt, dass ein Buddhist um das Wohl anderer Nachteile für sich akzeptieren sollte. Man sollte nicht nur an sich denken. Da viele Leute alles nur für sich denken und handeln, begegnen sie oft Schwierigkeiten.

Das sechste Gelöbnis erinnert uns daran, dass wir immer zu den Buddhas und Bodhisattvas beten sollten, damit wir die Kraft erhielten, die 6 Paramitas auszuführen, um den Lebewesen zu helfen. Bei diesem Gelöbnis knieten die Buddhisten auf und nahmen es von Seiner Heiligkeit und den Buddhas der zehn Richtungen entgegen. Wenn wir die Bodhisattva-Gelübde auf uns nehmen, gehen wir den gleichen Weg wie die Buddhas und Bodhisattvas. Wir konzentrieren unseren Geist auf unsere und die Erleuchtung anderer.

Das siebte und letzte Gelöbnis, das jeder Bodhisattva einhalten soll, ist, stets daran zu denken, die Buddhalehre zu praktizieren, um den Buddhas und Bodhisattvas nahe zu sein. Grundsätzlich sollten wir die sechs Paramitas und die vier Erfolgswege üben.

Anhand dieser sieben Gelöbnisse erkennen wir, dass ein Praktikant der Buddhalehre zuerst seinen Bodhigeist entwickeln muß, denn sonst kann man keine Verdienste erwerben. Das sind die Grundvoraussetzungen eines praktizierenden Bodhisattvas, um in das Reich der Buddhas und Bodhisattvas einzutreten. Der Bodhigeist muß größer als alle Meere, aller Berge, höher als alle 3.000 große und kleine Welten sein. Dieser Geist kann groß sein und soll in der Lage sein, das ganze All zu erfassen, aber gleichzeitig kann er auch klein wie ein Staubkorn sein und sich verwandeln, so dass man ihn mit den bloßen Augen nicht mehr erkennen kann.

Alsdann sprach Seine Heiligkeit über den 15. und letzten Abschnitt über die 6 Paramitas. Das erste Paramita ist die Gebefreudigkeit. Man soll als Buddhist seine Barmherzigkeit durch die Gebefreudigkeit ausdrücken. Man kann Geld und Sachen, oder Dharma geben. Die Gebefreudigkeit soll von Herzen kommen.

Der Spender soll sogar dem Empfänger danken. Denn wenn es ihn nicht gäbe, dann würde der Spender nicht die Möglichkeit haben, die Gebefreudigkeit auszuüben. Die Buddhas und Bodhisattvas bedauern nicht das Dasein der Lebewesen auf dieser Welt, sondern sie danken ihnen für ihr Dasein. Nur somit können Buddhas und Bodhisattvas ihre Barmherzigkeit erweisen.

Das nächste Paramita ist das Einhalten der Gebote. Die Silas sind wie die Strahlen vom Meru-Berg, wie das Wasser, das alle Unreinheiten reinigt. Die Gebote sind so wertvoll wie die Augen, die man behüten muß. Die Gebote eines Laien sind z.B. die fünf Grundgebote, die acht Athanga-Gebote, die Bodhisattva-Gebote. Die Ordensleute dagegen haben mehrere Gebote, so z.B. die Samanera-Sila, Samaneri-Sila, die Bhikkhu und Bhikkhuni-Sila. Es gibt zusätzlich Gebote für den Umgang zwischen Ordensleuten und Laien. Wenn wir die Gebote einhalten, sollten wir stets daran denken, alle unheilsamen Taten nicht entstehen zu lassen; alle verdienstvolle Taten auszuführen und nicht zuletzt sollten wir andere helfen und ihnen den Erleuchtungsweg zeigen, damit alle Lebewesen glücklich leben können.

Das nächste Paramita ist das Erdulden von allen Beleidigungen. Dieses Paramita ist eine Schutzveste. Man behält den inneren Frieden. Man soll alle Beleidigungen ohne Wut erdulden. Man soll sich anstrengen, dieses Paramita zu praktizieren und über alle Hindernisse zu steigen. Wir sollten stets an die Verdienste der Buddhas, Bodhisattvas und Patriarchen denken. Sie alle haben für die Erleuchtung der Lebewesen viel erdulden müssen, um uns auf unserem Erleuchtungspfad zu begleiten.

Rechte Anstrengung bedeutet, dass wir uns Mühe geben sollen, die Buddhalehre mit Fleiß und Gewissen und nicht nur oberflächig und schnell zu praktizieren. Viele glauben, dass man in einem Tag die Erleuchtung erlangen kann. Das ist aber falsch und eher sehr selten, denn wenn man die Buddhalehre zu praktizieren beginnt, entstehen einem etliche Hindernisse. Doch ein Praktikant der Buddhalehre soll keinen Rückzug einleiten und auch nicht denken, dass man die Erleuchtung schnell erreichen kann. Man soll sich stets kontinuierlich und fleißig anstrengen.

Seine Heiligkeit sprach auch über seine eigenen Erfahrungen. In seiner jahrelangen Praxis erfuhr er Veränderungen an Körper und Geist. Man sollte sich nicht zu sehr auf die Kraft der Buddhas und Bodhisattvas verlassen, sondern sich selber auf die eigene Kraft und Fähigkeit konzentrieren. Man sollte Ausdauer in der Praxis der Buddhalehre haben, denn nur dadurch hat man Erfolge. Um Bodhisattva zu werden, muß man 3 Asamkhya durchleben. Ein Asamkhya wird als unermeßliche Zahl definiert. Es ist eine indische Zeitfaktor. Wenn man ein Asamkhya in Zahlen ausdrücken will, muß man es eine eins gefolgt von 47 Nullen schreiben. So viele Jahre muß man gelebt und die Buddhalehre praktiziert haben, um ein Bodhisattva zu werden. Deshalb soll ein Buddhist immer die sechs Paramitas praktizieren.

Alsdann sprach Seine Heiligkeit über die Konzentration. Konzentration ist der König des Geistes. Unser Geist soll bei der Praxis der Buddhalehre fest sein wie ein Berg. Wir müssen innerlich sehr stark sein, um unseren Geist zu bändigen, damit keine unreine Gedanken entstehen können. Wie ich schon bereits in dem vergangenen Kapitel erwähnt habe, ist unser Geist wie ein Glas Wasser. Im Glas befindet sich Schmutz. Wir sollen uns so konzentrieren, dass unser Geist rein ist, so wie das Beispiel mit dem Schmutzwasser, wo der Schmutz nach unten sinkt. Wir sollen uns so konzentrieren bis der Schmutz verschwindet, sodann wird unsere wahre Buddhanatur erscheinen. Die angesammelten Unreinheiten sind immer noch in unserem Geiste und warten nur auf die richtigen Momente, unsere Konzentration zu stören. In dem Falle soll man die Technik des Vipasyana anwenden, um unreine Gedanken anzuhalten.

Wir sollten dabei aber auch unseren unruhigen Geist beobachten, um ihn zur Ruhe zu bringen. Bei der Visualisation des Shakyamuni-Buddha sollten wir stets an seine Gestalt denken. Unruhig werden wir, wenn erstens unser Geist unrein ist und zweitens, wenn er nicht wachsam ist. Wenn der Meditationsort sehr laut ist, ist es vergleichbar mit einem Dorn, der unseren Körper sticht. Während der Praxis soll man nicht an die eigenen Vorteile denken, sondern sich an die Gebote halten. Bei richtiger Praxis wird unser Geist von selbst rein und ruhig. Das ist die erste Technik, unseren Geist zu beruhigen. Wenn wir unseren Geist beeinflussen können, können wir weiter den nächst höheren Schritt gehen.

So weit unterwies Seine Heiligkeit am Vormittag des 30.10.1998 und gab dann Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Jemand wollte wissen, was aus der tibetischen Lama-Struktur in der Zukunft werden würde. Seine Heiligkeit antwortete, dass das tibetische Volk darüber entscheiden sollte. Wenn das Volk diese Struktur weiterhin haben wolle, so würde ein neuer Dalai Lama gewählt, so wie in der katholischen Kirche, wenn ein neuer Papst gewählt wird.

Die nächste Frage war, ob es möglich wäre, dass Seine Heiligkeit als Frau wieder geboren werden könnte. Ohne zu Zögern antwortete Seine Heiligkeit: „Ja, warum nicht“. Er fügte hinzu daß, falls er als Frau wiedergeboren werden sollte, eine schöne Frau sein werde.

Alle lachten; so auch Seine Heiligkeit, der mit den Zuhörern lachte. Auf die Frage „Warum?“ antwortete Seine Heiligkeit, dass eine schöne Frau viel Gutes für die Lebewesen tun könne. Die Zuhörer waren von dem Antwort sehr angetan und es folgte großer Beifall. Das ist eine Kunst des Redners. Es gibt keine Fragen, auf die Seine Heiligkeit keine Antwort geben könnte. Es gibt jedoch Fragen, die nicht zu seinem Wissensgebiet gehören, worauf Er dann sagte: „Ich weiß es nicht“. Auch darüber lachten die Zuhörer. Ein Bodhisattva ist ehrlich und sagt nur die Wahrheit. Es gibt Leute, die nur angeben. Sie wissen es nicht, sagen aber, dass sie es auch wissen. Dabei erzählen sie dann nur Unwahrheiten.

Am Nachmittag des 30.10.1998 begann Seine Heiligkeit über das Prajnaparamita zu sprechen. Nach dem Besteigen des Sitzes belehrte er die Zuhörer: „Wenn man seinen Bodhigeist entwickelt und keine Weisheit besitzt, so kann man die Unreinheiten nicht beenden. Weisheit ist ein wichtiges Schwert, das man gebraucht, alle geistigen Unreinheiten und Leiden zu vernichten, um dadurch Weisheit zu gewinnen.

Augen, Ohren, Nasen, Zunge, Körper und Gedanken sind unsere sechs Sinne. Diese sechs Sinne werden sich verändern, wenn wir uns in Meditation vertiefen. Sie verwandeln sich zum Wissen, das wiederum zur Weisheit wird. Wir beurteilen die Dinge aufgrund der äußeren Erscheinungen. Diese Erscheinungen und Formen halten wir für wahr und existent, wobei sie in ihrer Wirklich kein Selbst haben. Durch Unwissenheit entstehen Illusionen und Träume; auch diese Unwissenheit befleckt unsere Weisheit. Deshalb kommen wir oft zu falschen Beurteilungen. Die Entscheidungen fallen wir oft zu unseren Gunsten, die auf unser Ich ausgerichtet sind. Es kommt zu Vorurteilen in jedem von uns, in jeder Gesellschaft. Es herrscht deshalb kein Frieden in den Gesellschaften und die Menschen leben nicht in Harmonie. Es gibt Liebe auf der einen Seite und Haß auf der anderen. Wir sollten die Erscheinungen aller Dinge nicht verleugnen oder sie wegjagen, sondern sie in ihrer wahren Natur erkennen. Wenn wir so weit sind, werden wir erkennen, dass alle Gefühle wie z.B. Liebe, Zuneigung, Ärger, Haß, Neid, Trauer, Freude, Wut, Hochmut, Stolz nur vorübergehende Erscheinungen des Geistes sind. Ein praktizierender Bodhisattva soll diese Wahrheiten erkennen und dadurch Weisheit erlangen. Die Menschen entwickeln durch Unwissenheit Zuneigungen zu jemandem. Durch diese Zuneigungen und Liebe wird man in den Kreislauf der Wiedergeburten hineingezogen. Es gibt zwei verschiedene Vorlieben, erstens das eigene Ich und zweitens alles, was einem gehört. Diese Vorlieben und Vorzüge entwickeln Liebe oder Haß. Wenn wir die Dinge mit Weisheit betrachten würden, würden wir erkennen, dass sie durch das Gesetz von Ursache und Wirkung entstanden sind. Die äußeren Erscheinungen sind nicht wahrhaft, denn sie unterliegen dem Gesetz des Entstehens, Existierens, Zerstörens und Vergehens.

Der Buddhismus hat vier große Schulen, die alle die Lehrmeinung vertreten, dass das Ich nicht wahrhaft ist. Es ist nur wahrhaft, weil wir es für wahrhaft halten. Bei den Schulen der Prajnaptimatra-Tradition gibt es Schulen die das Ego (Ich) für wahr aber auch Schulen, die es für nicht existent halten. Die Schulen der Madhyamikasastra-Tradition dagegen lehnen es stickt ab. Der Meister Nguyet Xung hat im Gegensatz zum Meister Buddhiruci andere Ansichten über das Ego. Er stammte aus Nord Thien Truc, kam nach Lac Duong in der Zeit von Tuyen Vu De (Nguyen-Dynastie) und hatte sehr viele buddhistische Sutren ins Chinesische übersetzt.

Aufgrund des Ego hat jede einzelne Person oder einzelne Nation ihre eigene Vorlieben und Zuneigungen. Die Mexikaner, z.B., halten ihr Land für den Mittelpunkt der Erde. Auch die Chinesen behaupten das gleiche. Die Deutschen sagen Hamburg sei der Mittelpunkt der Erde und die Franzosen behaupten Paris sei der Mittelpunkt des Universums. Das Ego soll daher noch genauer untersucht werden, um sein wahres Gesicht zu erkennen. Es gibt kein Ego außerhalb dieses Körpers. Wenn etwas wird, geht etwas anderes verloren. Nichts kann von selbst entstehen, sondern nur durch vielen Bedingungen.

Alle Sinne und Bewußtseinsebenen verändern sich unterschiedlich. Jedes Bewußtsein hat sein Ego und seine Objekte. Am wichtigsten ist das Manovijnana. Dieses Bewußtsein lehnt sich an das achte Bewußtsein, um zu existieren. Das achte Bewußtsein ist das Alaya-Vijnana, das auch eine sehr wichtige Rolle spielt. Es ist der Herr aller Lebewesen, denn es beherbergt alle Karmas. Die Karmas aus vielen unendlichen Leben werden ebenfalls hierin gelagert. Es ist wie eine Filmrolle, die alle Karmas eingespeichert hat. Sie hat die Kontrolle über die Wiedergeburt, darüber, wohin das einzelne Lebewesen noch dem Tod gelangen wird. Sie bringt uns auf der anderen Seite aber auch Weisheit. Diese Weisheit nennt man Dai Vien Canh. Dieses Bewußtsein verändert uns zu Buddha und Bodhisattvas; und auch sie führt uns auf dem Weg des Bösen. Viele meinen, dass es insgesamt nur sechs Bewußtseinsebenen gibt. Doch im mittleren Madhyamika-Sastra schreibt der Meister Nguyet Sang folgendes: Wenn es wirklich das Ego gibt, widerspricht das der Lehre des Buddhismus, denn in einer Sache existiert bereits das andere und umgekehrt.

Bezüglich der Illusionen und Träume gibt es das folgende Beispiel: In der Nacht sehen wir ein Seil und glauben, das es eine Schlange sei. Wir halten es für eine echte Schlange. Genauso halten wir die 5 Skandas für wahr und von einander unabhängig. Doch das ist falsch. Das Ego ist nur eine Bezeichnung, etwas, das von verschiedenen Bedingungen beeinflußt wird. Alles ist selbstlos und nicht wahr. Wir lehnen nicht die Existenz der Dinge ab, sondern nur das eigene Ego. Ein anderes Beispiel ist, dass man Buddha nicht in den fünf Skandas finden kann, sondern nur durch Auffassungen und Worte. Wir sollten stets wissen, dass die Erscheinung aller Dinge nicht wahrhaft ist, denn sie entsteht durch verschiedene Faktoren und Einflüsse. Deshalb haben sie auch kein Ego und sind nicht unabhängig.

Wir können diese Sache in Details untersuchen. Es gibt zwei verschiedene Betrachtungsweisen. Erstens, die Dinge sind wirklich selbst und unabhängig und ihre Erscheinung existiert nur durch bestimmte Auffassungen und Faktoren. Wenn wir alle Dinge für wahr und unabhängig halten sind sie dann wirklich existent. Doch über eines sollte man sich im Klaren sein, dass Hasen keine Hörner haben. Das aber könnte eine echte Erscheinung sein. Die Eigenschaft von Begriffen und Namen werden durch die Einflüsse und Faktoren beeinflußt. Alle Erscheinungen sind selbstlos. Aus dieser Sicht akzeptieren alle buddhistische Schulen die konditionellen Faktoren und Bedingungen. Sie sind auch der Ansicht, dass die 12 Glieder des abhängigen Entstehens konditionelle Faktoren aller Erscheinungen sind.

Zweitens, alle Dinge existieren, werden aber vom Gesetz der Ursache und Wirkung beeinflußt, so dass sie letztendlich selbstlos sind. Es gibt hier zwei extreme Ansichten, die man ablehnen muß. Erstens, das Ego existiert unabhängig und alle Erscheinungen sind nicht wahrhaft. Wenn wir uns auf eine dieser zwei Ansichten Wert festlegen, wird beides falsch. Wir sollen mit Weisheit die Dinge betrachten, um die wahre Natur zu erkennen. Die Veränderungsprozesse der Dinge durchlaufen 4 Phasen und sie sind nicht unabhängig von einander. Sie entstehen nicht einfach so, sondern werden durch die konditionellen Bedingungen beeinflußt. Der Meister Nagarjuna hat gesagt: Alle Erscheinungen kommen und gehen nicht. Sie entstehen durch die konditionellen Faktoren und Karmas. Sie verändern sich und vergehen auch eines Tages. Die Veränderungszustände der Dinge unterliegen dem Gesetz der Ursache und Wirkung. Das ist ein Prozeß, den alle Dinge und Erscheinungen durchlaufen müssen. Wer die konditionellen Faktoren und Erscheinungen versteht, der wird auch die Erscheinung aller Dinge verstehen. Wir werden dann die Wahrheit über Wahr und Nicht-Wahr erfahren. Wer dies versteht, der kann die Weisheit der Buddhas erlangen. Die Meditation hilft uns, das Gesetz von Ursache und Wirkung und die Erscheinung aller Dinge zu verstehen. Wenn jemand dieses Gesetze versteht, der wird seine sture Haltung zu Wahr oder Nicht-Wahr beenden. Wenn man die Natur des Nichts visualisiert, wird man die Eigenschaften der Dinge verstehen.

Es ist falsch, wenn wir sagen, die Dinge sind nicht wahr oder die Dinge sind wahr. Am besten ist es, wenn wir die Erscheinung der Dinge so hinnehmen wie sie sind. Wir sollen die unwahren Erscheinungen der Dinge visualisieren und diese aus unserem Geist heraus filtern. Erst dann sind wir nicht von ihnen abhängig. Der Meister Tsongkhapa hat gelehrt, dass wir diesen grundlegenden Dharmaweg praktizieren sollen, um Prajnaparamita zu erreichen.

An diesem Tag tranken alle Ordensleute, die an der Veranstaltung teilnahmen, tibetischen Tee mit Milch und alle Zuhörer machten eine 10minütige Pause. Nach der Pause begaben sie sich wieder in das große Zelt und Seine Heiligkeit antwortete auf einige Fragen, die gestellt wurden. Er beantwortete sachlich alle gestellten Fragen. Man könnte Ihn als einen Psychologen des Buddhismus begreifen, denn die Antworten, die Seine Heiligkeit an die Zuhörer weitergab, helfen ihnen die Wahrheit zu erfahren. Nach jeder Antwort folgte großer Beifall und dies bewies, dass die Zuhörer begeistert waren.

Bis heute sprach Seine Heiligkeit über 21 Abschnitte des Sutra, welches über den mittleren Weg und die Meditationspraxis handelte. Dann folgten die Abschnitte 23, 24 und 25. Alle diese Abschnitte zeigen den Praktikanten der Buddhalehre den rechten Weg. Zuerst sollte man mit der Praxis der Hinayana-Schulen beginnen, z.B. die 4 edlen Wahrheiten, den achtfachen Pfad, die 12 Glieder des abhängigen Entstehens etc. Danach kann man mit der Lehre des Mahayana fortsetzen, z.B. Prajna, Avatamsaka, Nibbana. Schließlich sollte der Praktikant einen Tantra-Meister suchen, der ihn in die vier letzten Stufen der Buddhayana einweist. Wichtig ist, dass man seine Verdienste allen Lebewesen widmet.

Am Freitagabend wurde im Hauptzelt der Film mit dem Titel „Die Salzmacher von Tibet“ gezeigt. Aus unserer Delegation nahm niemand an dieser Veranstaltung teil. Alle gingen zurück in die Wohnung, um sich auszuruhen und sich zu stärken für den nächsten Tag. Viele Besucher wurden durch den Titel neugierig gemacht, denn Tibet befindet sich auf dem Dach der Erde. Daher ist die Verbindung zum Meer sehr schwierig. Wie soll denn die Außenpolitik aussehen? Wie soll man Salz auf dem Markt bekommen? Für die Speisen braucht man aber doch Salz, denn Salz ist sehr wichtig für den Knochenaufbau. Salzmangel führt zu Körperschwäche. Ich hatte auch Gelegenheiten gehabt, tibetische Filme in deutscher Sprache in den Kinos Hannovers anzuschauen. Filme wie z.B. Little Buddha, Kundun und einige andere, deren Titel ich vergessen habe. Das sind Filme, die mit vielen Oskars ausgezeichnet wurden. Sie handeln über den Buddhismus, die Wiedergeburt, Karma und die Situation in Tibet. Die Filme dienen nicht als Propaganda. Sie wurden auch nicht aus wirtschaftlichen Gründen produziert. Die Filme dienen allgemein als sehr effektive Aufklärung. Viele Zuschauer halten die Filme für unecht, doch sie haben auch historische Bedeutung. Der Film „Little Buddha“ z.B. informiert uns über die Formalitäten der tibetischen Reinkarnation. Im Film „Kundun“ erfahren wir über das Leben der Tibeter unter der chinesischen Oberherrschaft. Wir erfahren auch über die Suche nach dem Nachfolger des verstorbenen Dalai Lamas. Wir lernen über das Leben und den gewaltlosen Kampf Seiner Heiligkeit für die Bewahrung des tibetischen Buddhismus. Durch diesen Film sehen wir auch das wahre Gesicht der Kommunisten. Wenn Sie die Bücher „My land and my people“ und „Freedom in Exile“ lesen, werden Sie alles über den tibetischen Buddhismus erfahren. Das ist eine der Möglichkeiten, die schöne Seite des Buddhismus den Menschen im Westen näher zu bringen.

Heute gibt es sehr viele Menschen im Westen, die Anhänger des Buddhismus sind, insbesondere der tibetischen Buddhismustradition. 1999 hat Herr Baumann, Dozent im religionswissenschaftlichen Fachbereich der Universität Hannover, ein kleines Buch mit dem Titel „Weltreligion-Buddhismus“ herausgegeben. Vor einigen Jahren hat er das Buch mit dem Titel „Deutsche Buddhisten“ herausgegeben, das sehr erfolgreich war. Das Buch dient als wichtige Literatur in den Universitäten, vor allem in den Fachbereichen Buddhologie und Religionswissenschaft.

Nach der Statistik des neuen Buchs von Herrn Baumann setzt sich die Zahl aller buddhistischen Zentren in Deutschland wie folgt zusammen:

- traditionsübergreifend 7%

- Theravada-Buddhismus 15,3%

- Mahayana-Buddhismus 35,6%

- Tibetischer Buddhismus 42,2%

Diese Statistik weist aus, dass der tibetische Buddhismus gegen Ende des 20. Jahrhunderts in Deutschland stark an Boden gewonnen hat. Noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts hat der tibetische Buddhismus keinen Fuß in Deutschland gehabt und lag hinter dem Theravada-Buddhismus. Doch heute, 50 Jahre später, hat der Erleuchtungskern des tibetischen Buddhismus Blüte geschlagen.

Der sechste Tag (Samstag, 31.Oktober 1998)

Nach den Niederwerfungen vor dem Thron faltete Seine Heiligkeit die Hände zu einer Lotusblüte zusammen und lächelte jeden an. Die Menschen konnten seinen Segen spüren und waren sehr erfreut.

Heute sprach Seine Heiligkeit zu den Buddhisten, die den Bodhisattvaweg folgen wollten. Sie sollten ihren Bodhigeist entwickeln und geloben, die Buddhaschaft zu erreichen, um den Lebewesen wohltuend zu dienen. Man sollte die Bodhisattva-Gelübde einhalten und ganz stark seinen Bodhigeist entwickeln.

Es ist nicht schwer, die Bodhisattva-Gelübde zu bekommen; doch sie einzuhalten ist sehr schwer. Wenn man die Tugend eines Bodhisattvas praktiziert, sollte man auch bereit sein, alles zu opfern, selbst den eigenen Kopf, die Augen, die Ohren, die Nase etc. Die Lebewesen brauchen Hilfe von den Bodhisattvas. Sie helfen den Lebewesen solange bis es keine Leiden mehr in dieser Samsara-Welt gibt. Sie geloben, nicht Buddha zu werden, so lange bis alle Lebewesen Buddhas geworden sind. Ein Bodhisattva befolgt 10 große und 48 kleine Gebote oder 6 große und 28 kleine Gebote. Die Gebote gelten sowohl für die Ordensleute als auch für die Laien, die den Bodhisattva-Weg beschreiten.

Nach der tibetischen Tradition und der Lehrreden Seiner Heiligkeit am 31.10.1998 müssen die Buddhisten, welche die vier Arten des Tantra-Buddhismus praktizieren, die Bodhisattva-Gelübde ablegen. Diese Gebote sind im Madhyamika-Sastra vom Meister Vo Truoc enthalten. Meister Nguyet Xung hat auch die Bodhisattva-Gebote im seinem Buch „die Tugend eines Bodhisattvas“ erläutert. Im Madhyamika-Sastra lehrte Meister Santideva, dass der Bodhisattva Manjusri diese Gebote nach der Prajnaptimatra- und Madhyamikalehre aufgenommen hat. An diesem Tag lehrte Seine Heiligkeit alle Bodhisattva-Praktikanten die Methoden der Praxis von Geshe Tsongkhapa. Der Großmeister Ling Rimpoche ist der Dharmalehrer von Seiner Heiligkeit, der ihm die Bodhisattva-Gebote in Bodh-Gaya auferlegt hat. Und heute gab Seine Heiligkeit diese weiter an alle Menschen, die im Zelt anwesend waren. Nach der tibetischen Tradition hat ein Bodhisattva 18 große und 46 kleine Gebote zu befolgen. Danach begann Seine Heiligkeit mit der Zeremonie zur Stellungnahme der Hindernisse.

Die Stellungnahme zu den Hindernissen ist ein Frage und Antwort-Ritual; sie besteht aus 29 Punkten, die im Verlaufe des Rituals angesprochen werden. In der Theravada-Tradition müssen alle Ordination-Kandidaten in diesen Fragen geprüft werden. Sie unterscheidet 2 Arten von Hindernissen:

1. die Fehler, die von Natur aus entstehen und als angeboren betrachtet werden;

2. die Fehler, die von Natur aus als negativ angesehen werden. Beide Arten von Fehlern stellen Hindernisse für die Ordination dar. Derjenige Ordinationskandidat, der die Frage des Lehrmeisters mit „Ja“ beantwortet, darf zur Ordination nicht zugelassen werden. Die Punkte in der Frage-Antwort-Stellungnahme nahmen mit der Zeit stetig zu. Die Vinaya der südlichen Traditionen führt am wenigsten Punkte auf. Die Tradition der Dharmagypta und der Sautrantika führen die meisten Punkte auf. Als nächstes folgen die Kommentare des Vinaya, einem Unterverzeichnis des Dharmagypta Vinaya (siehe Seite 437). Das Gebotsbuch für die Bodhisattva-Praktikanten stellt 7 folgende Punkte als Hindernisse dar.

Der Sila-Meister fragt den Gebotsempfänger folgendes:
Frage: Habt ihr den Körper vom Buddha zum Bluten gebracht?
Antwort: Namo Buddha, nein.
Frage: Habt ihr euren Vater getötet?
Antwort: Namo Buddha, nein.
Frage: Habt ihr eure Mutter getötet?
Antwort: Namo Buddha, nein.
Frage: Habt ihr die Mönche getötet?
Antwort: Namo Buddha, nein.
Frage: Habt ihr euren Dharmalehrer getötet?
Antwort: Namo Buddha, nein.
Frage: Habt ihr den Karma-Lehrern Schaden zugefügt?
Antwort: Namo Buddha, nein.
Frage: Habt ihr die Arya-Pudgala getötet?
Antwort: Namo Buddha, nein.

Nach dem Vollzug der Bodhisattva-Gelübde breiteten die Mönche eine gelbe Decke vor dem Thron aus. Seine Heiligkeit machte auf der Decke Niederwerfungen vor den Buddhas und Boddhisattvas in allen 10 Himmelsrichtungen; jeweils drei Niederwerfungen. Danach ging Er wieder zurück zum Thron und betete zu den Buddhas und Bodhisattvas, dass sie die neuen Bodhisattva-Praktikanten segnen mögen.



Heute führte Seine Heiligkeit Zeremonien des Vajrayana aus. Rechts von ihm stand ein Tragepodest, der von vier Mönchen umgeben war. Sie waren dabei ein Avalokiteshvara-Sandmandala zu errichten, nachdem Seine Heiligkeit die Hauptlinien eingezeichnet hatte. Seine Heiligkeit lehrte, dass man die Meditationsobjekte visualisieren muß, wenn man sich tiefer mit dem Kern des Tantra-Buddhismus beschäftigen will. Die Meditationsobjekte verkörpern die Leerheit. Das besondere im Tantra-Buddhismus ist, dass man seinen Geist voll einsetzt und mit rechter Ansicht die Buddhalehre praktiziert. Von der Leerheit aus werden die Meditationsobjekte sichtbar. Durch die regelmäßige Praxis lernen wir die Natur der Leerheit kennen. Während der Praxis sollen wir stets unseren Bodhigeist entwickeln, denn dadurch kann unsere Barmherzigkeit gesteigert werden.

Seine Heiligkeit betonte, dass der Erleuchtungsgeist die Grundlage aller Dharmapraxis ist. Die Tantra-Schulen konzentrieren sich auf die drei folgenden Punkte:

1. den Erleuchtungsgeist zu entwickeln,

2. die Buddhaschaft zu erreichen und

3. dem Wohl aller Lebewesen zu dienen. Kurz zusammengefaßt heißt es, dass wir uns Mühe geben sollen, den Dharma zu studieren und zu praktizieren; als nächstes den einzigen Wunsch pflegen, Buddha zu werden und danach nicht ewig im Reinen Land zu verweilen, sondern wieder auf die Samsarawelt zu kommen, um den Lebewesen zu helfen. Das ist nämlich der Bodhisattva-Weg.

Wenn man seinen Erleuchtungsgeist entwickelt, wie soll man die Körper des Buddha visualisieren? Durch die 60 Gatha (Lobverse), die der Praktikant während seiner Praxis kennenlernt, empfindet er den Verdienst des Dharmakaya und Sambhogakaya der Buddhas.

a) Man empfindet die Weisheit der Buddhas

b) Man empfindet den Dharmakaya der Buddhas durch das Nicht-Selbst.

Die Lehre vom Dharmakaya ist sehr hoch und man braucht regelmäßige Praxis. Der Dharmakaya verwandelt sich in dem Rupakaya, um allen Lebewesen die Buddhalehre zu vermitteln. Man verschafft sich die besten Voraussetzungen für die Praxis und beseitigt alle falschen Gedanken und Unwissenheiten. Man soll verstehen, dass die Natur des Nicht-Selbst die wahre Eigenschaft aller Erscheinungen ist. Den Rupakaya kann man empfinden wenn man die Praxis der Sechs Sinne anstrebt.

Die Kombination dieser zwei Körperformen ergibt den Dharmakaya der Buddhas. Von da aus werden falsche Gedanken und Unwissenheit beendet und die Natur des Nicht-Selbst wird dann sichtbar. Unser Geist muß die Erscheinung vom Körper der Buddhas erkennen. Es funktioniert nur, wenn wir uns vom Geist der Unterscheidung trennen können und einen reinen Geist erreichen. Wenn es so weit ist, wird man auch erkennen, dass man selbst einen Buddhakörper besitzt, der durch die Weisheit sowie die Upaya (Methoden) entstanden ist.

Jedes Bija (Bodhikeim) wird zu einer Erscheinung in dieser Welt. Sie werden verschwinden und die Erscheinungen der Welt werden auch zu nichts; dann wird die Weisheit und es werden die Verdienste zunehmen. Weisheit und liebende Güte sind die zwei grundlegenden und wichtigen Visualisationsmethoden, um Sambodhi nach den Methoden der tibetischen Yogacara-Schule zu erreichen. Der grundlegende Kern des Tantrismus liegt nicht auf der Empfindung der Rupakaya der Buddhas sondern auf der Kooperation zwischen Weisheit und liebender Güte. Wenn man diese Praxismethode erfolgreich abschließt, wird dieser Körper Vajva-Körper genannt, denn er ist zeitlos unvergänglich.

Wenn der Buddhist eine Initiation erhalten will, muß er ein Mandala errichten, das aus vielen unterschiedlichen Farben besteht. Seine Heiligkeit hat es bestimmt und visualisiert, dass das Mandala der Palast des Bodhisattva Avalokiteshvara und dass er selbst auch die Verkörperung von Avalokiteshvara ist. Wir sollen visualisieren, dass der Körper vom Dalai Lama und Avalokiteshvara keine Unterschiede aufweisen.

Danach gab es eine Opfergabe-Zeremonie an Buddha, Dharma und Sangha. Die Gegenstände der Opfergaben waren Reis, Butter, Wasser, Blumen, Räucherstäbchen etc. Seine Heiligkeit begann zu chanten und alle chanteten mit. Er streute die Reiskörner und Blumen auf die Zuhörer, was eine Art Segnung sein soll. Wir sollen aus tiefsten Herzen beten, dass wir in diesem oder im nächsten Leben immer dem Wohle aller Lebewesen dienen mögen, denn nur so praktiziert man die Tugend des Bodhisattva richtig.

Man soll erkennen, dass jedes Lebewesen Gedanken und Äußerungen hat; doch das ist nicht das „Ich“, denn alle Äußerungen und Erscheinungen sind nicht wahrhaft. Man soll immer die Veränderungen der Erscheinungen visualisieren, um geistiges Glück zu empfangen. Dann wird unser Geist die Natur des Nicht-Selbst empfangen, welche der Charakter des Avalokiteshvara-Bodhisattva ist. Danach führte Seine Heiligkeit alle Leute in die Initiations-Praxis der tibetischen Buddhismustradition ein. Seine Heiligkeit erinnerte alle Buddhisten, die an der Initiationszeremonie teilnahmen, dass dies eine richtige Praxismethode ist, welche den Praktikanten sehr tief in den geistigen Bereich führt, wenn er diese zu praktizieren gelobt. Dann führte Seine Heiligkeit alle Leute in den starken Glauben dieser Praxismethode ein und auch dass sie sich einen ehrwürdigen Dharmalehrer aussuchen mögen. Als nächstes gelobten alle Leute ihren Erleuchtungsgeist zu entwickeln. Sie lasen die Gelöbnisse vor und gelobten die Bodhisattva-Gelübde einzuhalten und sie zu praktizieren. In den chinesischen und vietnamesischen Buddhismustraditionen gibt es sowohl für die Ordensleute als auch für die Laienbuddhisten, die die Bodhisattva-Gelübde empfangen, 10 große und 48 kleine Gebote. Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat der chinesische Großmeister Thai Hu das Sutra der Upasaka-Sila eingeführt, damit es die Bodhisattva-Praktikanten leichter praktizieren könnten; seitdem gibt es daneben auch noch 6 große und 28 kleine Gebote. Die Ordensleute dagegen behalten weiterhin ihre 18 großen und 46 kleinen Gebote. Es ergibt dadurch bestimmt einige Unterschiede. Ein Gebot könnte mehr Gewicht haben als das andere; doch im Grunde ist die Natur der Silas (Gelübde) unveränderbar.

Als nächstes segnete der Dharmalehrer die Gelübde-Empfänger, dass ihr Körper, ihre Sprache und ihre Gedanken gereinigt werden. Jeder von ihnen wurde somit ein neuer Behälter, der das Heilwasser zur Erleuchtung aufnimmt. Man kann visualisieren, dass sich in jedem von uns ein Vajra-See befindet, der auf einem runden Rad liegt. An unserem Hals gibt es ein rechteckiges Rad mit roter Farbe und mit einem Buchstaben A. An unserer Stirn gibt es ein achtspeichiges Rad, ein Candra-Rad und die Silbe Oum in weißer Farbe. Während Seine Heiligkeit mit Mudras die Visualisation segnete, sollten wir uns dabei denken, dass seine Hand drei Stellen unseres Körpers berührt. Wir sollten visualisieren, dass diese Segnung wie die Tropfen vom Heilwasser, unseren Geist, unsere Sprache und unsere Gedanken reinigt.

Als nächstes hob Seine Heiligkeit die Blumen hoch, um sie zu visualisieren. Während der Visualisation der Blumen und der Opfergaben an die Buddhas, wurden unsere falschen Gedanken durch die Verdienste für die Darbringung der Opfergaben aufgelöst und unser Geist veränderte sich vom unreinen zum reinen Zustand. Wir sollten visualisieren, dass alle Dinge sich verändern und nicht ewig sind. Alle Erscheinungen müssen sich verändern, weil unser Wesen nicht wahrhaft ist. Es gibt dann folglich auch kein Selbst, das in unserem Geist existiert, denn nichts gehört uns; alles sind nur Scheinexistenzen.

Bei jeder Opfergabendarbringung rezitierte Seine Heiligkeit Sutren und Mantren und segnete die Blumen, die Kerzen, die Lampen und das Öl. Das ist die höchste Opfergabe an die Buddhas und die Bodhisattvas. Alle Opfergabengegenstände haben nur eine symbolische Bedeutung; wichtiger ist die reine Tatabsicht bei der Darbringung der Opfergaben, denn nur dadurch können Verdienste entstehen.

Ein Zuhörer kam nach vorne und ließ ein Stück Holz fallen. Auch Geshe Thubten Ngawang ließ ein Stück Holz symbolisch fallen. Alle Menschen richteten ihre Gedanken an Seine Heiligkeit, um die Aufrichtigkeit für das Gebet zu erweisen. Wenn der Geist des Gelübdeempfängers rein ist, wird das Stück Holz in der richtigen Richtung liegen. Wenn sein Geist unrein ist, wird das Stück Holz seine Position ändern. Danach tropfte Seine Heiligkeit auf die Hände der Gelübdeempfänger einige Wassertropfen, die sie tranken. Das Wasser wurde zuvor von Seiner Heiligkeit gesegnet und es verkörpert die acht Verdienste, die den Körper, die Sprache und die Gedanken reinigt.

Nach der Amitabha-Tradition kommt das Heilwasser aus dem großen See im Reinen Land, im Meer des Meru-Berges und des Sieben-Goldene-Hügel-Berges. All diese Orte beherbergen das Wasser der 8 Verdienste.

Im Sutra zur Lobpreisung des Reinen Landes steht geschrieben: „Alles, was Namen hat, ist das Wasser der 8 Verdienste. Erstens, klar und rein; zweitens, frisch und angenehm; drittens, süßlich schmeckend; viertens, weich und leicht; fünftens, kühl und weich; sechstens, ruhig und ausgeglichen; siebtens, durst- und hungerstillend; achtens, nährreich für die Sinne; somit ist es die Steigerung der vier Elemente (Erde, Wasser, Wind, Feuer). (Seite 107)

Das bedeutet, dass alle Wesen im Reinen Land, im Inneren des Meru- und Sieben-Goldene-Hügel-Berges, das Verdienst haben, im dem Wasser der 8 Verdienste zu baden. Wir nahmen heute an dieser Zeremonie teil und durften auch in diesem Wasser der 8 Verdienste baden. Der Gebrauch des Wassers symbolisiert die Reinigung des Körpers, der Sprache und der Gedanken.

Alle Menschen, die das Heilwasser von Seiner Heiligkeit erhielten, waren erfreut. Sie hatten viele Gründe Freude zu haben, denn jeder von ihnen durfte im Segen eines großen Dharmalehrers baden, der von der Welt geehrt wird. Die Menschen scheinen von neuer Kraft aufgetankt worden zu sein, denn nichts ist wertvoller als der geistige Frieden. Während der sechs Tage haben die Teilnehmer der Unterweisung Seiner Heiligkeit achtsam gefolgt, viel gelernt und die Lehre des Buddha praktiziert, um den Alltag bei sich zu Hause besser gestalten zu können. Sie lebten für eine kurze Zeit in einer großen buddhistischen Familie und zeigten ihre Barmherzigkeit durch die Praxis der Buddhalehre sowie soziale Tätigkeiten. Alle richteten sich nach dem gleichen Ziel, weshalb die Atmosphäre im Zelt sehr friedlich war.

Alsdann bekam jeder 2 Grashalme mit nach Hause. Die Grashalme sahen ähnlich wie die in Vietnam aus, die in den Bergen wachsen. Man schneidet sie ab, trocknet sie, bindet sie zusammen und benutzt sie als Handbesen für Altäre oder Besen für den Boden. Die Grashalme, die jeder von Seiner Heiligkeit bekam, haben eine andere Bedeutung. Seine Heiligkeit erklärte, dass man den langen Grashalm unter den Rücken und den kurzen unter das Kopfkissen legen soll. Sollte man in der Nacht gute Träume haben, so hat man ein bißchen Erfolg in der Praxis der Buddhalehre erlangt. Die Teilnehmer schauten sich gegenseitig an und fragten sich, ob sie wohl gut träumen werden?

Als nächstes segnete Seine Heiligkeit die roten Fäden und ließ sie unter den Teilnehmer verteilen. Sie sollten diesen Faden um ihr Handgelenk binden. Sie bedeuten, dass man allen Haß und Zorn vernichten muß und sich anstrengt, die Tugend der Barmherzigkeit zu üben. Dies ist eine Möglichkeit, den Geist auf einem Ort zu richten. Es ist der feste Glaube an die Drei Juwelen, um heilvolle Verdienste zu sammeln, die Karmas abzubauen damit der Erleuchtungsgeist entwickelt werden kann.

In den südlichen Buddhismusschulen gibt es auch diesen Brauch. Die Hochehrwürden halten in ihren Händen ein Bündel Faden. Die Faden wurden aus ihren Händen weiter an die Buddhisten und Teilnehmer weitergereicht. Nachdem allen die Faden gereicht wurden und alle Leute sie angefaßt hatten, falteten die Buddhisten ihre Hände und richteten ihre Blicke nach vorne; dann begannen die Ehrwürden das Gebet. Nach dem Gebet durfte jeder ein Stück Faden mit nach Hause nehmen. Dieser Faden wird an einem Holzbalken oder um das Handgelenk der Familienangehörigen gebunden.

Zur Buddhas Lebzeit war es auch so. Nach dem Verlassen des Bodhibaumes begegneten Buddha zwei Händler aus Burma, die Zuflucht zu Buddha nehmen wollten. Sie baten Buddha um ein Erinnerungsgeschenk. Daraufhin hob Buddha seine Hand und zupfte von seinem Haar zwei Haare heraus und gab sie ihnen. Die zwei Haare bezeichnet man auch als Reliquien. Heute verehren die Burmesen diese Haare in einem Kloster mit goldenem Dach in der Hauptstadt Burmas.

Der vietnamesische Buddhismus pflegt nicht derartige Bräuche wie die tibetische Initiationszeremonie oder die Segnungszeremonie der südlichen Buddhismusschulen. Jedes Jahr, vom ersten Neujahrstag an bis zum ersten Vollmondtag des neuen Jahres, rezitieren die Ordensleute in den Klöstern und Tempeln und die Laienbuddhisten bei sich zu Hause das Medizin Buddha-Sutra. Sie zünden dabei 49 Kerzen an. Nebenbei bereiten sie viele Wasserflaschen vor, die durch die Mönche und Nonnen gesegnet werden sollen. Nach der Zeremonie können die Buddhisten das gesegnete Wasser mit nach Hause nehmen und es trinken. Das Wasser hat die Kraft, Krankheiten zu heilen.

Gegen Ende der Initiationszeremonie munterte Seine Heiligkeit die Teilnehmer auf, ihren Erleuchtungsgeist ganz stark zu entwickeln, um dadurch Verdienste für dieses und das nächste Leben zu sammeln. Seine Heiligkeit riet den Leute, ihren Geist immer an einem Dharmalehrer zu orientieren und die Natur des Nicht Selbst zum Objekt der Visualisation zu machen. Man sollte seinen Geist immer an das Gute richten, um dadurch schneller an das Erleuchtungsziel zu gelangen.

Danach gab es Mittagessen und die Teilnehmer ruhten sich kurz aus. Die vietnamesischen Ordensleute speisten zusammen mit den deutschen Mönchen und Nonnen in einem extra eingerichteten Zelt. Die Vietnamesen galten als besondere Gäste des tibetischen Zentrums in Hamburg. Ich sah auch einige Hochehrwürdige in diesem Raum mit uns zusammenspeisen. Das vegetarische Essen wurde von den Deutschen zubereitet und schmeckte daher nicht so gut gewürzt wie bei den Asiaten. Die Deutschen sind der Auffassung, dass vegetarische Kost ohne Fleisch zu essen bedeutet; man ernährt sich ausschließlich durch Gemüse; doch die Deutschen essen nicht das Tofu. In Asien wurden seit Hunderten von Jahren und heute noch Tofu aus Sojabohnen hergestellt. Sie sollen noch gesunder und nährstoffreicher als das Fleisch sein. Durch den Verzehr von Fleisch entstehen viele unheilbare Krankheiten. Vegetarische Kost ist dagegen sehr gesund. Die Ordensleute aus Vietnam, Korea, China, Taiwan, Hongkong und Singapur ernähren sich rein vegetarisch, während es dagegen in einigen südlichen Buddhismusschulen wie z.B. Tibet, Japan, Nepal, Bhutan noch Fleisch verzehrt wird. Dies hängt wahrscheinlich mit dem Klima und den Sitten und Bräuchen zusammen. Die Mönche der südlichen Buddhismusschulen essen ganz normal Fleisch, denn es gibt 3 bis 5 Fleischarten, die Ordensleute essen können, ohne unheilvolle Taten zu verursachen. Doch selbst in vielen Tempeln der südlichen Buddhismusschulen essen die Ordensleute heute auch kein Fleisch und keinen Fisch mehr.

Bei internationalen Flügen oder in öffentlichen Veranstaltungen, können wir problemlos vegetarische Kost anfordern. Überall in der Welt, wohin man auch reisen will, kann man 24 Stunden vorher vegetarische Kost bestellen. Nach europäischer Küche gibt es 16 verschiedene vegetarische Menüs; nach asiatischer Küche hingegen gibt es Hunderte von Gerichten, vor allem in Hongkong oder Taiwan. In China gibt es dagegen nicht so viele vegetarische Gerichte. Es ist für sie noch neu, denn nach jahrzehntelangem Kommunismus wissen die Chinesen nicht, was vegetarisch bedeutet! In einigen Restaurants wurden den Ordensleuten sogar Krabbeltiere und einige für die Ordensleute verbotene Kräuter, angeboten. Abgesehen in den Klöstern und Tempel essen sehr wenige Chinesen vegetarisch.

Selbst im vietnamesischen Buddhismus gibt es einige Tempel im Norden, die fleischhaltige Nahrungsmittel verzehren. Kommt das etwa daher, weil die Vietnamesen unter den Kommunisten leben. Wie es vor 1945 war, weiß ich leider nicht. Die vietnamesische Buddhisten essen mindestens zwei Tage im Monat vegetarisch (am 1. und 15. des Monats). In vielen Familien essen die Buddhisten 4, 6 bis 10 Tage vegetarisch. Es gibt Leute, die 3 Monate lang sich vegetarisch ernähren (Januar, Juli und September). Es gibt unter den Buddhisten auch viele, die ihr ganzes Leben ausschließlich vegetarisch leben. Das ist der Ausdruck der Barmherzigkeit gegenüber allen Lebewesen. Buddha hat im Nibbana-Sutra sehr genau gelehrt. Um die Buddha- und Bodhisattvaschaft zu gelangen, darf es nicht an der Tugend der Barmherzigkeit fehlen; deshalb ist der Verzehr von lebenden Lebewesen, die sich im Kreis der Wiedergeburten befinden, nicht erlaubt.

Am Nachmittag des 31. Oktober 1998, nachdem Seine Heiligkeit den Thron zuvor mit drei Niederwerfungen geehrt hatte, bestieg er den Thron und sprach über die Methode der Konzentration vom Avalokiteshvara-Bodhisattva. Diese Methode wurde vom 7. Dalai Lama verfaßt und vom jetzigen 14. Dalai Lama neu bearbeitet.

In einigen Orten wird Sambodhi oder Anuttara-Samyak-Sambodhi als Yoga definiert, wenn man die Meditation bis zum äußersten praktiziert. Im Tantrabuddhismus gibt es vier verschiedene Methoden. Die unteren drei vertreten die Erleuchtung des Buddha sowie die Basis für die Praxis der Buddhalehre bis zur vollkommenen Befreiung.

Der Meditationsanfänger beginnt mit der Beobachtung der ein- und ausströmenden Atemluft. Danach visualisiert er die Erscheinungen, ihre Entstehung und ihr Vergehen. Die Methoden der Atemzügebeobachtung und der Erscheinungsbeobachtung sind nicht identisch. Manchmal kann man auch die Atemzüge und den Blutkreislauf im Körper visualisieren. Wir sollten diese Kraft in uns aufnehmen und uns bemühen, die einzelnen Methoden bei zu praktizieren. In normalen Situationen sollte man die Buddhas vor sich visualisieren. Man kann auch visualisieren, dass man selbst ein Buddha ist. Man visualisiert diesen Buddha als sei er ein guter Dharmafreund. So wird mehr Selbstvertrauen entwickelt.

Das entscheidende Tor zum Tantrabuddhismus ist die scheinbare Existenz aller Dinge (z.B. Visualisation des eigenen Körpers als der Körper des Buddhas). Die Unterschiede hängen jedoch von den verschiedenen Initiationsformen ab. Wenn Ordensleute oder Laien initiiert werden, erreichen sie die Fähigkeit ihre Buddhanatur zu entwickeln. Der Praxismethode Avalokiteshvara-Bodhisattva nach gibt es 2 Wege. Erstens, man visualisiert, dass man wie ein Behälter ist, und zweitens, man visualisiert den höchsten Punkt auf den Kopf. Man soll visualisieren, dass man selbst der Nirmanakaya Körper wird, um den Lebewesen zu helfen und der Dharmakaya-Körper, um ein Buddha oder ein Bodhisattva zu werden und zeitlos und raumlos zu existieren.

Die Praxis des Tantrabuddhismus erfordert von den Praktikanten einige Vepflichtungen wie z.B. Patimokkha, also die Einhaltung der Ordensregeln und Bodhisattva-Gebote. Wenn man von Anuttara-Bodhi spricht, handelt es sich um Yoga, denn Yoga gehört zu den Taten. Wichtiger sind jedoch die Einhaltung der Ordensregeln und die Visualisation. Danach folgt dann Reuezeigen, um einen reinen Geist zu erzielen. Man soll die Reue-Praxis vom Großmeister Vajrasattva anwenden. Wenn man die wahre Existenz der Buddhas visualisiert, muß man die Natur der Leerheit visualisieren, d.h. die Natur der Leerheit des entsprechenden Buddha hat Selbst. In der Tantratradition gibt es zwei Praxismethoden. Erstens, bei der Visualisation könnte man auch die Mantren rezitieren oder auch nicht. Bei der Visualisationsmeditation müssen Körper und Geist rein sein. Das ist eine Visualisationsmethode durch die Töne, den Klang des Nicht-Selbst, den Geist zur Ruhe zu bringen. Alle Meditationsmethoden haben mit dem Nicht-Selbst zu tun. Es gibt auch Methoden, bei denen man die Mantren nicht zu rezitieren braucht. Doch die Visualisationsmethode, die Seine Heiligkeit heute lehrte, erfordert die Rezitation von Mantren. Bei der Meditation können wir 4 folgende Objekte visualisieren:

Erstens, die Töne. Wir beobachten die Töne von innen nach außen und visualisieren sie.

Zweitens, wir visualisieren unseren eigenen Körper als den eines Buddha oder Bodhisattva.

Drittens, wir visualisieren einen anderen Buddha oder Bodhisattva als wäre er unser Buddha. Jeder kann sich einen Buddha oder Bodhisattva aussuchen, z.B. Ksitigarbha-Bodhisattva, Manjusri, Samantabhadra oder Avalokiteshvara etc.

Viertens, bei der Meditation rezitieren wir Mantren. Diese Methode hilft dem Meditierenden seinen Geist während der Meditation rein zu halten und ihn auf die Natur der Leerheit zu konzentrieren.

Wir visualisieren, dass unsere Buddhanatur in unserem Buddha sich befindet. Diese Methode durchläuft 6 verschiedene Phasen:

1- Natur der Leerheit

2- die Töne

3- Körper und Form

4- Fünf Skandas

5- bieu luan (vietn.)

6- Mantren

Bevor man mit diese Methode anfängt, sollte man schon die Zuflucht zu den Drei Juwelen genommen haben, um Verdienste gesammelt zu haben. Man muß außerdem auch Reuezeremonien durchführen, um Körper, Sprache und Gedanken zu reinigen.

Als erstes sollten die Praktikanten sich an die Lehrmeister wenden, um deren Segen zu bekommen, denn diese Patriarchen sind die Beschützer jedes einzelnen Praktikanten auf dem Weg zur Erleuchtung. Man sollte daran glauben, dass wir selbst die Verkörperung unserer Buddhas sind. Wir sollten visualisieren, dass die Buddhas, Bodhisattvas und die Patriarchen über unseren Köpfe schweben.

Wir sollten unseren Körper und Geist rein halten. Das können wir durch das Baden, das Anziehen neuer Kleidung, das Aussuchen einen schönen Platzes für den Altar und die Meditation erreichen. Das ist sehr wichtig, denn das sind einige gute äußere Bedingungen für eine erfolgreiche Praxis. Während der Meditation soll man kein Fleisch, keine Eier und scharfe Gewürze essen, denn sie erregen unseren Geist. Es ist leichter frühmorgens die Meditation zu praktizieren, da unser Geist dann noch rein ist.

Der Meditationsort ist auch sehr wichtig, denn er ist eine gute Voraussetzung für unsere Praxis. Wir werden dabei nicht durch äußere Faktoren gestört. Der Meditationsort muß sauber und aufgeräumt sein. Man sitzt mit dem geraden Rücken auf den Sitzkissen. Vor den Augen hängt ein Bild des Buddha, den wir ausgesucht haben. Die Maße des Bildes müssen der Tradition, der wir angehören, entsprechen. Man könnte das Bild von Avalokiteshvara-Bodhisattva mit den zehntausend Augen und Händen als Visualisationsobjekt nehmen. Das Bild ist ein Visualisationsobjekt unseres Geistes. Wir sollten unseren Geist trainieren und nicht auf das Äußere konzentrieren und dabei das Innere vernachlässigen. Man braucht auch keinen schönen Altar, sondern wichtig ist nur unser Geist. Man soll den Buddhas und Bodhisattvas reine, neuen Gegenstände opfern und sie von anderen nehmen. Die Bilder haben nur eine symbolische Bedeutung. Wichtig und entscheidend ist die Visualisationskraft in unserem Geist. Man soll z.B. auch in Details, die Gegenstände in den Händen des Avalokiteshvara-Bodhisattva visualisieren, um mehr Visualisationskraft zu bekommen.

Wenn der Praktikant seinem Geist rein hält, wird auch sein Erleuchtungspfad klarer sein. Man soll Zuflucht zu den Drei Juwelen nehmen, und nach der Erleuchtung streben, um zurück zu kehren und den Lebewesen helfen zu können. Man soll wirklich aufrichtig Zuflucht zu den Drei Juwelen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft nehmen. Wir richten uns nach dem Dharma, den der Buddha gesprochen hat und der vielen Lebewesen aus den verschiedenen Zeiten geholfen hat. Wir sollen die Gelöbnisse, unseren Erleuchtungsgeist zu entwickeln, ständig wiederholen, um jeden Tag stärkeren Glauben und mehr Kraft zu erlangen. Wir sollen die indischen und tibetischen Patriarchen visualisieren, denn sie sind unsere Initiationslehrer. Bei dieser Visualisation stellen wir uns vor, dass wir und die Patriarchen in eins zusammenschmelzen und sich wieder im Initiationslehrer auflösen. Schließlich soll nur der Initiationslehrer über unserem Kopf schweben, der uns den rechten Weg weist. Alsdann werden wir langsamen die Heil-Wassertropfen auf unserem Kopf fallen sehen, die alle Geistesgifte reinigen. Wir sollten rezitieren und uns merken, dass der Dharmalehrer sich in unserem Geiste auflöst.

Danach richten wir unsere Gebete an die Patriarchen und anschließend an unsere Meister. Wir sollten immer beten, dass unser Lehrer uns segnen mögen, so dass wir die Visualisationsmethode über unseren Buddha erfolgreich praktizieren können.

Man soll die guten Tugenden als Beispiel nehmen, um verdienstvolle Taten zu sammeln und Weisheit zu entwickeln. In der tibetischen Buddhismustradition gibt es sieben Taten, die zu Verdiensten führen. Diese sind: Niederwerfung, Opfergaben, Reuezeigen, Freude, Bitten, Widmung und Wunscherfüllung.

Als nächstes sollte man dasselbe Mantra mehrere Male wiederholen, um einen reinen Geist zu bekommen und wir sollten unsere Brahma-Vihara entwickeln und unseren Geist an den vollkommenen Bodhicitta richten. Dies ist eine der Tugend aus der Brahma-Vihara, die bei dieser Meditationsmethode nicht fehlen darf.

Wenn wir das Feld der Verdienste als Meditationsobjekt nehmen, visualisieren wir, dass es sich auflöst und mit der Natur der Leerheit eins wird. Das Feld der Verdienste der Buddhas wird sich insbesondere im Reinen Land vermischen. Reine Länder sind Reiche der Buddhas wie z.B. Amitabha oder Shakyamuni-Buddha. Die grundlegende Praxis für Ordensleute wie für Laienbuddhisten ist die Visualisation eines bestimmten Buddhas und der Natur der Leerheit. Man soll Mantren rezitieren und sich zurück zu seinem Nicht-Selbst finden. Man soll visualisieren, dass Körper, Sprache und Gedanken leer sind; alle Erscheinungen ebenso. Wir sollten einen starken Glauben an die Natur der Leerheit entwickeln und somit die Erleuchtung direkt zu erlangen.

Als nächstes sprach Seine Heiligkeit über die Wahrheit und den Nirmanakaya. Um den geistigen Bedürfnissen der Lebewesen gerecht zu werden, haben die Buddhas und Bodhisattvas viele Mittel, ihnen zu helfen. Unter verschiedenen Formen können sie die Buddhas und Bodhisattvas visualisieren und uns dabei immer bewußt sein, dass alle Erscheinungen nicht wahrhaft sind, denn sie verändern sich. Wir sollen ganz genau die Natur der Leerheit visualisieren, denn alle Erscheinungen in dieser Welt entstehen und vergehen durch konditionelle Bedingungen und Faktoren. Aus diesem Grund spielt die Leerheit eine wichtige Rolle in der Visualisation unseres Geistes. An dieser Stelle möchte ich einige Erläuterungen zu der Natur der Leerheit geben, damit Sie diese Praxis besser üben können. Die Natur der Leerheit oder Leerheit bedeutet leer, nicht wahrhaft, formlos. Alle Dinge in dieser Tribhava (dreifache Welt) sind nicht wahrhaft. Wenn man das erkennt, ist es die Leerheit. Im Sukhavati-Vyuha-Sutra steht: „Die Bodhisattva vom Reinen Land des Amitabha sehen die dreifache Welt gleich: nämlich leer.“ Im Kapitel „Schüler“ des Vimalakirtinirdesa-Sutra steht: „Letztendlich sind alle Dinge leer.“ Im zweiten Kapitel von „die Bedeutung des Mahayana“ steht: „Leer ist das Ergebnis der Gedanken; wenn die Ursache leer ist, ist auch Name und Form leer.“ Im Mahaprajnaparamitopadesa-Sastra, Teil 5 und 20, steht: Die Fünf Skandas haben kein Ich, sie gehören nicht dem Ich, das bedeutet leer. Alle Dinge entstehen durch die konditionelle Bedingungen und haben kein Selbst; wenn es kein Selbst gibt, gibt es auch die Leerheit nicht. Es gibt 9 verschiedene Arten von Leerheit. Wenn man ausführlicher über die „Leerheit“ unterrichtet werden will, muß man das Mahaprajnaparamitopadesa-Sastra oder das Maha-Nibbana lesen. Kurz gesagt, alle Dinge und Erscheinungen auf dieser Welt sind leer in ihrer wahren Existenz. Wenn wir dies visualisieren können, haben wir die Natur der Leerheit im Buddhismus verstanden. Wenn wir dann die Visualisationsmethoden praktizieren, werden wir dann zu einer Gewohnheit kommen und die verschiedenen Stufen der Erleuchtung erreichen.

Nach der Pause und dem Mittagessen kamen die Zuhörer um 15:30 Uhr zurück zum Zelt. Seine Heiligkeit beantwortete zunächst einige Fragen der Teilnehmer. Er beantwortete die Fragen sehr bescheidend und betonte, dass man Ihn nicht wie einen Buddha betrachten sollte. Er sei nur ein einfacher buddhistischer Mönch, der nach den Regeln die Buddhalehre praktiziert und auf die Fragen der Zuhörer antwortet. Viele Teilnehmer hätten doch mehr Erfahrungen über das Leben als Er selbst. Bezüglich des Ehelebens zwischen Mann und Frau, hat Buddha unsittliche Taten verboten; Buddha hat nicht das Sexualleben der Laienbuddhisten verboten. Die Buddhisten mögen dies beachten.

Jemand fragte, wie man im Eheleben die sexuelle Begierde vermeiden kann.

Seine Heiligkeit antwortete: „Der Großmeister Nagarjuna lehrte, dass man dort kratzen soll, wo es sehr juckt. Doch man soll wissen, dass der Juckreiz nie aufhört. So genau ist die sexuelle Begierde (Tanha). Es gibt keine endgültige Zufriedenheit. In den Sutren steht, dass viele Menschen durch die sexuelle Begierde keine Samen mehr haben, so dass nur Blut fließt; doch auch sie sind noch nicht zufrieden mit ihrem Sexualleben. An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass alles durch unseren Geist entsteht. Wenn wir einen Gedanken der Begierde haben, wird dieser Gedanke immer fest entwickelt und er hat kein Ende. Wichtig ist, dass man es erkennt, dass die Begierde keine gute Tugend ist, die uns immer wieder in den Kreis der Wiedergeburten zieht. Um aus diesen Kreis zu entkommen, muß man die sexuelle Begierde vernichten. Wir müssen unseren Geist kontrollieren und Herr über ihn werden. Niemand kann unsere Begierde kontrollieren als wir es selber. Wenn man die Dinge visualisiert und ihre unwahre Existenz erkennt, so wird man die Begierde eines Tages auf natürliche Weise eindämmen können.

Danach lernten die Zuhörer weiter über die Visualisation der Töne. Das kurze Mantra „Om Mani Padme Hum“ sollen wir täglich rezitieren und die Töne aus diesem Mantra visualisieren. Dieses Mantra wird täglich von den Anhängern des Lamaismus rezitiert. Diese 6 Silben des Padmapani-Bodhisattva ermöglicht die Wiedergeburt im Reinen Land. Die Anhänger des Lamaismus verehren diesen Bodhisattva sowie viele den Amitabha-Buddha im Sukhavatti verehren, der die Menschen für ewig aus dem Kreis der Wiedergeburten befreit. Daher sowohl Ordensleute als auch Laienbuddhisten dieses Mantra eifrig rezitieren. Es ist genauso wie bei den vietnamesischen, chinesischen und japanischen Buddhisten, die an die 6 Silben des „Nam Mo A Di Da Phat“ (Namo Amitabha Buddha) glauben. Die Tibeter schreiben oft diese Silben auf einem Stofftuch. Dieses Tuch wird zusammengerollt und in einen runden Behälter getan. Diesen Behälter wird gedreht und man nennt dies eine Drehung des Dharmarades. Die Tibeter glauben, dass man durch diese Drehung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten befreit werden kann. Das größte Dharmarad enthält über eine Milliarde Sprüche. Außerdem sind auch die Stoffahnen vor den Häusern oder am Straßenrand mit diesen 6 Silben ausgeschmückt.

In Vietnam rezitieren die Ordensleute und die Laien dieses Mantra im Anschluß an die Gebete. Außerdem enthält jede Andacht Elemente aus drei Buddhismustraditionen: Zen, Reines Land und Tantra. Für die Vietnamesen sind die Praxismethoden die Grundlagen, die schon seit Jahrtausenden praktiziert werden. In einigen Orten in der Welt werden die Schulen des Reinen Landes und des Zen deutlich getrennt. Doch im Zen verbirgt sich die Praxis der Schule des Reinen Landes und umgekehrt. Der Buddhismus ist wie eine alte Eiche, die seit vielen Tausenden von Jahren gewachsen ist. Deshalb haben sich seine Äste, Blätter, Wurzel sehr breit ausgeschlagen. Daher kann ein einziger Ast nicht alles tragen, sondern wird sich auf andere Zweige verteilen; doch man sollte verstehen, dass kleinere Äste oder Zweige auch ein Teil vom großen Baum sind. Es gibt nichts zu fragen.

Wir sollen die Eigenschaft unseres Körpers visualisieren, die nichts anders ist als unser Geist. Wir sollten diese Gedanken im Uhrzeigersinn laufen lassen. Aus dem All erscheint eine Lotusblume mit Tausend Blumenblättern. Auf der Lotusblume verkündete Amitabha-Buddha die Buddhalehre. Seine Körper waren voller Austrahlung. Danach erscheint Avalokiteshvara-Bodhisattva. Wenn wir diese Bilder lange in unserem Geist visualisieren können, ist es ein gutes Zeichen für unseren Praxiserfolg. Anschließend visualisieren wir, dass wir selbst auf dieser Lotusblume stehen und uns in Avalokiteshvara-Bodhisattva verwandeln.

Alle diese Praxismethoden ermöglichen uns eine starke Konzentrationskraft zu erzielen. Wir sollten die Buddhas visualisieren und sie in uns selbst vorstellen. Wir sind die Verkörperung der Buddhas und Bodhisattvas und sie sind unser Körper. Bei der Visualisation der Buddhas und Bodhisattvas werden, sie erscheinen und die fünf Skandas werden rein. Das Ego (Selbst) wird vernichtet. Bei dieser Visualisationsmethode falten wir unsere Hände zusammen und öffnen sie wie eine aufblühende Lotusblume. Danach rezitieren wir das Mantra: „Om Mani Padme Hum“ oder „Om Padma Duddhavage Svaha“. Fünf Buddhas werden erscheinen, um uns zu initiieren und wir werden zu Avalokiteshvara-Bodhisattva. Wir werden dann unsere Lobpreisung als Opfergaben an die Buddhas und Bodhisattvas darbringen. Dabei sollen wir 108 mal das Mahakaruna- Dharani und das Mantra „Om Mani Padme Hum“ lesen, um eins zu werden mit unserem Buddha.

Diese Praxis ist für kurze Dauer gedacht. Wenn man diese Methode für längere Zeit praktizieren will, so sollte man anstatt 108 Mal 10.000 oder 100.000 Mal das Mahakaruna-Dharani lesen. Das ist ein großes Verdienst, das jeder Praktikant sich aneignen sollte. Manche Leute kommen zu der folgenden Praxis. Wenn ein Mantra weniger als 15 Silben hat, so rezitiert man es 100.000 mal. Wenn es unter 6 Silben hat, rezitiert man es 600.000 Male. Bei über 15 Silben rezitiert man folglich 10.000 mal. Es gibt viele Rezitationsmethoden: ohne Töne zu erzeugen, die Luft bei der „me“-Silbe anhalten, um den Geist zu konzentrieren und den Gedankensprung zu stoppen oder den Atem für eine kurze Dauer anzuhalten, und danach wieder fortzusetzen. Diese Methode helfen uns unsere falsche Gedanke zu vermindern.

Am Abend des 31. Oktober 1998 fand im großen Zelt einen Filmabend über tibetische Heilverfahren statt. Man benutzt dort vorwiegend Gras, Baumwurzel und Wasser, um Heilmittel herzustellen. Bei der Heilung mit diesen Naturprodukten gibt es keine Nebenwirkungen wie bei den modernen Arzneimitteln. Deshalb haben sich seit langem schon die Mediziner aus dem Westen für die tibetische Medizin interessiert. Wir wollen daraus neue Erkenntnisse für die Heilung schwerer Krankheiten erzielen. An diesem Abend nahm ich nicht daran teil, weil es draußen sehr dunkel war und ich mich für den letzten Tag ausruhen wollte. Wir gingen deshalb früh zu Bett.

In Vietnam nimmt man drei verschiedene Medizinen: Medizin aus dem Norden, Medizin aus dem Süden, und Medizin aus dem Westen. Nord-Medizin bezeichnet alle Medikamente, die von Chinesen hergestellt sind. Die Medikamente sind aus Naturprodukten, wie Gräser und Baumwurzeln hergestellt. Sie werden auch zu Tabletten verarbeitet, um besser schlucken zu können.

Süd-Medizin wird von Vietnamesen hergestellt. Auch diese Medikamente sind reine Naturprodukte aus dem Süden, die es im Norden nicht gibt. Diese Medikamente verursachen auch keine Nebenwirkungen. Nach 1975 haben die buddhistischen Mönche ihre Klöster zu Krankenhäusern umfunktioniert und die armen Patienten mit diesen Medikamenten geheilt. Der größte Teil dieser Medikamente wurden aus Bäumen des Waldes verschiedener Art hergestellt. Sie werden miteinander vermischt und verarbeitet. Und so entstehen verschiedene Natur-Medikamente.

West-Medizin bezeichnen die Vietnamesen die Medikamente, die in den westlichen Ländern hergestellt und nach Vietnam importiert werden. Diese Medikamente gibt es seit Beginn des 18. Jahrhunderts in Vietnam. Vor dieser Zeit haben die Vietnamesen hauptsächlich nur Nord- und Südmedizin genommen, sowie die Tibeter, die bis heute nur ihre Naturmedikamente bevorzugen.

Der siebte Tag (Sonntag, 1. November 1998)

Heute ist der letzte Tag des 7-tägigen Dharmakurses. Das Tagesprogramm begann um 9 Uhr und endete um 12 Uhr nachmittag. Danach kehrten die Teilnehmer zu sich nach Hause zurück und fanden es schade, dass der Dharmakurs schon zu Ende war.

Nach den Niederwerfungen vor dem Dharmathron bestieg Seine Heiligkeit den Podest und begrüßte alle Leute mit einem Lächeln. Die Teilnehmer waren sehr angetan und ehrten seine Barmherzigkeit und Güte. Seine Heiligkeit wiederholte die Methode der Verehrung Avalokiteshvara Bodhisattvas, die er seit einigen Tag gelehrt hatte. Er erinnerte auch daran, dass man seinen Erleuchtungsgeist entwickeln muß. Er faßte kurz das Madhyamika-Sastra zusammen. Er erinnerte sich an die Beziehung zu seinem Lehrmeister Ling Rimpoche. Danach begann Seine Heiligkeit mit der kurzen Zeremonie und segnete die Teilnehmer. Er sagte zu ihnen, sie sollten ihn als die Inkarnation des Avalokiteshvara-Bodhisattva visualisieren. Dann führte Er sie in die Mandalas ein.

An dieser Stelle möchte ich einige Erläuterungen zu den Mandalas geben. Mandala kommt aus den Sanskrit und wird unterschiedlich übersetzt. Er wird als „Kreis, Bogen, Abschnitt“ übersetzt. Es ist die symbolische Darstellung der kosmischen Kräfte in zwei- oder dreidimensionaler Form. Die Bedeutung des Mandala im tibetischen Buddhismus kommt von dem tibetischen Wort dkyl-khor, was soviel wie „Zentrum und Peripherie“ heißt. Das Mandala wird also verstanden als eine durch Meditation bewirkte Zusammenführung zahlreicher unterschiedlicher Elemente zu einer Einheit. Im zweiten Buch der Erläuterung der Geheimlehre steht: „Mandala bedeutet ein Ort von Heiligen, die sich versammeln“. Alle Erscheinungen der Buddhas, Körper, Sprache, Gegenstände oder auch Gelübde werden als Mandala bezeichnet. Das Mandala wird mit Tinte auf das Papier gemalt oder aus buntem Sand gemacht. Es gibt vier verschiedene Arten von Mandalas im tantrischen Buddhismus. Die tibetischen Mandalas, die von den tibetischen Mönchen während der Dharmaveranstaltung hergestellt wurden, bestanden aus buntem Sand, der mühevoll gestreut wurde. Der bunte Sand wurde auf die Zeichnung auf einem Holzbrett gestreut. Das Mandala symbolisiert den wunderschönen Palast des Avalokiteshvara-Bodhisattva. Doch am Ende der Veranstaltung wird das Mandala durch eine Zeremonie wieder zerstört. Das soll die Vergänglichkeit aller Dinge verdeutlichen. Die Arbeit und der Aufwand waren groß. Doch alles kehrt zu seinem Ursprung zurück. Dies besagt uns, dass nichts auf dieser Welt ewig ist.

Wir sollen Seine Heiligkeit und Avalokiteshvara Bodhisattva als eine Person visualisieren und jeder von uns soll sein schönstes Mandala opfern. Wir sollen unseren Erleuchtungsgeist ganz stark entwickeln für das Wohl aller Lebewesen, die alle die Buddhaschaft erreichen mögen.

Die tantrische Lehre wird nur an diejenigen mit festem Glauben weitergegeben. Deshalb, je stärker der Glaube und die Erfahrung ist, desto größer ist die Bedeutung für die Praxis. Wir sollen unsere Augen bedecken und Blumen als Opfergabe an die Bodhisattvas darbringen. Danach soll jeder visualisieren, dass Avalokiteshvara über unseren Köpfen in weiß und roter Kehle, blauem Geist und Amata-Mudra schwebt. Als nächstes nimmt der Praktikant die Bodhisattva-Gelübde entgegen und visualisiert, dass sich vor seinen Augen die Buddhas und Bodhisattvas mit großer Barmherzigkeit auf den Lotusblumen verweilend befinden. Sie haben zugunsten der Lebewesen die Gelübde abgelegt, um Buddha zu werden und auch wir geloben die Buddhaschaft zu erreichen oder Bodhisattva zu werden, um den Lebewesen nach der Lehre der sechs Paramitas zu helfen.

Seine Heiligkeit hat den Leuten ihre Bodhisattva-Gelübde gleich danach übertragen. Nach der tibetischen Tradition gibt es für die Ordensleute und Laien 18 große und 46 kleine Bodhisattva-Gelübde. Wenn man gegen die kleinen Gebote verstößt, kann man durch Reue-Zeremonien sein Karma wieder reinigen. Danach knieten alle diejenigen, die die Gelübde erhalten haben, nieder und lasen laut die vier folgenden Gelöbnisse.

1. Ich gelobe der unendlichen Zahl von Lebewesen zu helfen.

2. Ich gelobe die unendlichen Unreinheiten zu beenden.

3. Ich gelobe die unendlichen Praxiswege zu studieren.

4. Ich gelobe die Buddhaschaft zu erlangen.

Wir geloben unseren Erleuchtungsgeist von heute bis zur Erlangung der Buddhaschaft zu entwickeln. Wir geloben den Lebewesen keinen Schade zuzufügen. Wir geloben allen Lebewesen zu helfen.

Es gibt bezüglich der Visualisierung viele Wege. Einer dieser Wege ist, den runden Mond mit seinen hellen Schein zu visualisieren und vor allem muß man großen Wert auf die Ich-Losigkeit legen, denn sie ist der Schlüsselpunkt für die Visualisierung und durch sie versteht man die Natur des Alls. Man kann auch seinen Silalehrer visualisieren. Man kann auch visualisieren, dass Seine Heiligkeit große Barmherzigkeit besitzt und auch die Buddhaschaft zu erreichen gelobt. Durch seinen Geist wird auch unser Geist gestärkt und wir können auch die Buddhaschaft erlangen. Alle rezitierten anschließend ein Mantra.

Seine Heiligkeit zeigte allen, dass wir uns gerade im Osten des Mandalas befinden. Daraufhin falteten alle die Hände und hoben sie über den Kopf und bewegten sie langsam zum Hals und schließlich zur Brust. Sie lasen alle gemeinsam ein Sutra, um Segen zu erhalten. Wir müssen visualisieren, dass um uns viele Buddhas im Osten des Mandalas versammelt sind. Jeder muß visualisieren, dass jeder von uns die Buddhanatur besitzt und diese uns die Buddhaschaft ermöglicht. Wir werden von Buddha ein starkes Gefühl entwickeln, wenn unser Geist rein ist. Wenn wir während der Visualisation Farben erkennen, bedeutet dies, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Wir sollen dabei visualisieren, dass wir um das Mandala gehend meditieren. Dort regnete es von oben viele Blumen hernieder. Und während wir gehend meditierten, visualisierten wir, dass unser Körper und Geist sich im Inneren des Mandalas befänden und dass unser Körper, Mund und Gedanken völlig rein wären.

Als nächstes brachte ein Stellvertreter für alle anwesende Ordensleute Blumen als Opfergaben dar. Der Hochehrwürdige Rimpoche ließ die Blumen genau auf das Zentrum das Mandalas fallen. Alsdann ging ein Vertreter für alle Laienbuddhisten zum Mandala hin und ließ auch Blumen herunterfallen. Beim ersten Mal fielen die Blumen außerhalb des Mandala und beim zweiten Male klappte es dann. Seine Heiligkeit wies die Buddhisten weiter ein und sagte zu ihnen, dass alle einen Namen haben, der Vajra-Dharma heißt. Die Leute nahmen die ausgetrockneten Blumen und legten sie über die Stirn. Es ist das Symbol, dass man großen Segen von einem Lehrmeister bekommen hat.

Wir sollten dann weiter visualisieren, dass unser Geist, unser Scheitel und zwei Augen hell strahlten. Danach könnten wir die einzelnen Details des Mandala erkennen. (Die Leute erhielten ein rotes Tuch und man band es um die Augen). Das Zentrum des Mandalas wird von einer Feuermauer, mit Türen umgeben. Dort sind weitere Buddhas anwesend, auch Mahavairocanna Bodhisattva. In der Mitte befindet sich der Avalokiteshvara Bodhisattva mit elf Gesichtern und tausend Augen und Händen auf einer Lotusblüte. Wir können visualisieren, dass unser Geist sich auch im Osten befindet. Wir visualisieren, dass wir vom Avalokiteshvara Bodhisattva das Amata-Heilwasser bekommen, um unseren Körper, Mund, Gedanken und die 5 Skandas zu reinigen. Seine Heiligkeit segnete das Heilwasser. Die Buddhisten visualisierten, dass das Heilwasser bis zu ihrem Kopf hochstiege und sich zu einem Hut von fünf Himmelsrichtungen verwandelte. In jeder der Himmelsrichtungen verweilte ein Buddha.

Sodann fixierten wir diesen Hut. Wir visualisierten, dass wir genügend Verdienste hätten und die Fähigkeit besäßen, uns in Buddhas zu verwandeln. Wir visualisierten die Empfindung und den Verstand über die Ich-Losigkeit (Nicht-Selbst). Wir visualisierten, dass von diesem Hut aus das Heilwasser herabströmte und sich in die Gestalt des Avalokiteshvara verwandelte. Diese Gestalt harmonisierte sich mit unserem Geist und jeder von uns sollte für sich selbst geloben die Worte aus unserem Munde zu kontrollieren. Wir visualisierten, dass während der Rezitation der Mantren aus dem Geist Seiner Heiligkeit die Mantren durch seinen Mund in unseren Geist eindrangen. Seine Heiligkeit rezitierte das Herz-Sutra auf Tibetisch. Danach brachte Er die Sutren, Vinaya und Sastren als Opfergabe an die Buddhas, auch die zwei Ahnentafeln mit der Abbildung des Avalokiteshvara-Bodhisattva.

Seine Heiligkeit erinnerte die Buddhisten daran, ihre Barmherzigkeit zu entwickeln und allen Lebewesen Liebe zu erweisen. Alle sollten für sich selbst beten, die Erleuchtung zu erreichen und danach auf diese Welt zurückzukehren und den Lebewesen zu helfen.

Seine Heiligkeit richtete ihren Dank an alle Teilnehmer und diejenigen die sich für ein freies Tibet einsetzten. Seine Heiligkeit vergaß auch nicht, den Vertretern der verschiedenen Religionen für ihre Teilnahme an dieser 7-tägigen Dharmaveranstaltung zu danken. Es kam ununterbrochen großer Beifall. Das bewies, dass Seine Heiligkeit das Herz vieler Menschen für sich gewonnen hatte und viele Europäer zum Buddhismus gekommen waren.

Die tibetischen Lamas haben anschließend eine Zeremonie durchgeführt, die Seiner Heiligkeit Langlebigkeit wünschte. Seine Heiligkeit wurde in diesem Jahr älter als 60 Jahre. Daher ist eine solche Zeremonie sehr wichtig, um einen Buddha oder einen Bodhisattva zu bitten, länger auf dieser Welt verweilen, damit er den Menschen den rechten Weg weise. Da die Menschen immer noch leiden, ist die Gegenwart Seiner Heiligkeit in dieser Welt sehr wichtig. Die Ordensleute bekamen jeder ein kleines Geschenk aus der Hand Seiner Heiligkeit. Das waren Süßigkeiten, die auf tibetische Art gemacht waren. Das Geschenk war mit rotem Faden gebunden und symbolisiert Glückseligkeit und Verdienste. Alle haben das kleine Geschenk erhalten. Das war ein unverkäufliches Geschenk und alle waren dieser Meinung.

Nach der Langlebigkeit-Zeremonie, bedankte sich Seine Heiligkeit noch einmal und stieg dann vom Thron herab. Er ging zu den Gästen in der ersten Reihe und gab ihnen die Hand. Als Er mich näherte, streckte Er seine Hand aus und sagte: „Thank you, Thank you!“. Ich sagte auch einige Sätze, um seine Worte zu erwidern. Ich erinnerte Seine Heiligkeit an den Besuch im Kloster Vien Giac in 1995. Erneut lächelte er mich an mit den Worten „Thank you, Thank you“.

Seine Heiligkeit ist ein lebender Buddha, ein Bodhisattva. Doch er ist sehr natürlich und ärgert sich über niemanden. Er haßt auch niemanden und klagt auch nicht über das Schicksal des tibetischen Volkes; Er ist umgekehrt immer tolerant zu den Chinesen. Er verkörpert die Barmherzigkeit und Wohlfahrt für alle Lebewesen. Seine Barmherzigkeit ist allgegenwärtig; Er ist wirklich die Inkarnation des Avalokiteshvara-Bodhisattva.

Am 18. Juni 1995 empfing ich Seine Heiligkeit vor dem Drei-Flügel-Tor des Klosters Vien Giac. Er bückte sich tief und berührte seinen Kopf mit meinem. Er unterscheidet nicht zwischen den Rassen, Sprachen, Gesellschaftsschichten. Und heute schüttelte Er meine Hände mit den Worten „Thank You“ und bückte sich. Ich war mir sehr bewußt, dass ich die große Ehre hatte, dem lebenden Buddha zu begegnen. Ich muß mich noch mehr anstrengen, um meine Buddhanatur in mir sichtbar zu machen.

Bei dieser Dharmaveranstaltung wurde mir vom Organisationskomitee ein Platz in der ersten Reihe neben dem Geshe Thubten Ngawang zugewiesen, und zwar direkt gegenüber Seiner Heiligkeit. Das war eine große Ehre. Denn es waren 10.000 Teilnehmer und ich dürfte sieben Tage lang Seiner Heiligkeit so nahe sein. Wahrscheinlich hat das Organisationskomitee gedacht, ich sei ein besonderer ausländischer Gast des buddhistischen Zentrums in Hamburg, weil ich genauso viele Ordinationsjahre wie der Geshe hinter mir habe, d.h. mehr als 35 Jahre. Die meisten der deutschen und ausländischen Ordensleute sind noch nicht so lange im Kloster; falls doch dann höchsten 20 Jahre, denn der Buddhismus in Deutschland hat sich erst in den 80er Jahren entwickelt. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Buddhismus in diesem Land sehr positiv und schnell entwickelt. Wie es in der Zukunft aussieht, kann niemand sagen. Doch die geistigen Türen für Deutsche sind geöffnet; der Wind von Weisheit und Barmherzigkeit des Buddhismus wird stark einströmen. Sicherlich wird das deutsche Volk davon profitieren und nicht allergisch sein. Der Grund ist einfach, denn der geistige Nährstoff, den der Buddhismus dem deutschen Volk sowie andere westlichen Völkern zu geben hat, hat sich als ein gutes Medikament zur Heilung vieler geistigen Krankheiten in den letzten 25 Jahrhunderten erwiesen.

Die Ordensleute umrundeten die kleine Pagode, in der das Mandala von vier tibetischen Mönchen in drei mühevoller Arbeitstagen fertig gestellt worden war. Viele Leute hatten das Mandala mit Niederwerfungen gerehrt und Photos gemacht. Da ich in der ersten Reihe saß, mußte ich nicht lange warten, um mir das Mandala anzuschauen und es verehren zu können. Viele Buddhisten dagegen mußten sich in lange Schlangen aufstellen. Einige mußten länger als zwei Stunden warten und kamen immer noch nicht an die Reihe.

Der Glaube des Menschen ist wirklich groß und nichts kann ihn erschüttern. Wenn sie erkennen, dass bloßes Wissen im Leben nicht alles ist, machen viele sich auf die Suche nach einer höheren geistigen Zufriedenheit. Es ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, an der geistigen Tür zu klopfen, um die Sehnsucht nach innerer Zufriedenheit zu stillen. Der Buddhismus in Europa und Nordamerika hat sich nun zur vollen Blüte entwickelt. Niemand kann sich vorstellen wie mühsam es für die Europäer im 16. und 17. Jahrhundert war nach Asien und Afrika zu kommen, um viele Länder zu ihrer Kolonie zu machen. Stattdessen haben die Asiaten, oder richtiger gesagt, der Geist des Buddhismus in den westlichen Gesellschaften integriert ohne Expeditionstruppen zu gebrauchen, wie vor 300-400 Jahren. Man braucht lediglich nur ein warmes Herz, einen Geist voller Barmherzigkeit und Weisheit, dann folgen auch schon die Menschen.

Der Buddhismus ist keine missionierende Religion wie einige andere. Wenn jemand zum Buddhismus kommen will, muß er es von sich aus tun und schauen, ob er für ihn das richtige ist. Niemand zwingt ihn dazu, denn was nützt ihm das, wenn er nicht von seiner Religion überzeugt ist.

Die Medien machten ununterbrochen Fernseh- und Tonaufnahmen sowie Interviews mit Seiner Heiligkeit. Seine Heiligkeit behielt stets sein Lachen. Es ist nicht leicht so ein gelassenes Lächeln zu haben. Dann verschwand das Lächeln Seiner Heiligkeit langsam hinter den farbigen Autoscheiben. Lange danach wollten die Leute ihren Platz immer noch nicht verlassen, sondern schauten in die Ferne, als ob sie nach etwas suchen wollten, das ihr Herz erwärmte. Viele wollten gar nicht nach Hause, obwohl sie am nächsten Tag schon wieder arbeiten mußten.

Am Nachmittag des 1. Novembers 1998 gab es eine Zeremonie zur Löschung des Mandalas. Doch unsere Delegation hatte bereits nach dem Mittagessen die Koffer gepackt und war mit dem Bus zurück nach Hannover gefahren. Viele Teilnehmer blieben zurück, um als Zeuge der Löschung des Mandalas beizuwohnen. Das wunderschöne Mandala entstand nach vieler mühevoller Arbeit. Doch nur innerhalb weniger Sekunden war es zerstört und sollte die Vergänglichkeit aller Dinge auf dieser Welt vergegenwärtigen. Nichts ist ewig, weder Schönheit, noch der Körper noch das ganze Universum. So ist das Gesetz der Vergänglichkeit.

Nach einer Woche Lamrim, kehrte unsere Delegation zurück nach Hannover, um die Arbeit dort wieder aufzunehmen. In Schneverdingen hatten wir unseren Frieden gefunden und man fühlte sich, als ob man in einer ganz anderen Welt gelebt hätte. Obwohl während der 7 Tage große Stürme aufkamen, waren alle Teilnehmer sehr glücklich. Obwohl man nach einer Woche noch nicht endgültig erleuchtet wurde und sein Nicht-Selbst noch nicht gefunden hatte und sich noch nicht vom Netz der drei Geistesgifte befreit hatte, waren sich die Teilnehmer dessen bewußt und zufrieden ein bißchen von der wundervollen Buddhalehre mit nach Hause nehmen zu können. Sie mußten nun ihr Alltagsleben wieder fortsetzen, ein Leben voller Fallen und Versuchungen.

Als wir das Kloster erreichten, sah das Pagodengrundstück aus wie ein Schlachtfeld. Es lagen überall kaputte und unbrauchbare Sachen herum, verdorbene Lebensmittel, alles was sich im Keller des Osthauses befand. Das Wasser hat alle Kellerräume überflutet. Einige Buddhisten hatten geholfen, die Sachen nach draußen zu bringen. Der Strom und die Heizung funktionierten seit einigen Tagen wieder. Wenigstens wurde es wieder warm. Was wäre passiert, wenn das nicht der Fall gewesen wäre? Ich war nicht traurig, aber auch nicht erfreut, denn ich weiß, dass alles den konditionellen Bedingungen unterliegt. Es ist etwas, was man nicht beschreiben kann. Auch wenn man alles vorher planen würde, würde es auch nicht zum Erfolg kommen, wenn die konditionellen Bedingungen nicht vorhanden sind.

Was ist das Leben? Wer kann es wirklich verstehen? Was macht man, um auf diese Welt geboren zu werden? Wohin führt das Leben? Das sind Fragen, die sich selbst keine Antwort geben. Jeder einzelne, jedes Individuum hat sein eigenes Bewußtsein und seine eigene Verpflichtung mit sich selbst, um eine Antwort zu finden. Erde, Wasser, Wind und Feuer sind die vier Primärelemente. Sie entstehen und vergehen durch die konditionellen Bedingungen. Die Dinge entstehen, existieren, verändern und vergehen. Nichts ist ewig. Wenn man dieses Gesetz versteht, hat man einen friedvollen Geist. Geld, Ruhm und Macht haben keine Bedeutung auf dieser unwahren Samsarawelt. Wenn wir von anderen verspottet, mißachtet, schlecht behandelt werden, sollten wir alles als eine Prüfung unseres Geistes, unseres Ich, betrachten. Wir sollten das alles als unwahr erkennen. Ich strebe danach dies zu visualisieren. Wenn man den Bodhisattvaweg geht, muß man sich selbst geloben: „Sei ein Fluß und trage alle Reinheiten und Unreinheiten des Lebens fort und sei die Erde und fang alle Reinheiten und Unreinheiten des Lebens auf.“ Alles entsteht durch das Element Erde, und alles geht zurück zur Erde, um sich mit dem unendlichen All zu vereinen.

Diese Erde, diese Welt entstand zuerst durch das Element Feuer, gefolgt vom Element Luft (Wind), Wasser und schließlich Erde. Alles vermischt sich und geht eines Tages auch auseinander; alles ist von einander abhängig, um zu bestehen und zu vergehen. Ich bin mir dieses Gesetzes ganz bewußt und erledige gelassen eine Arbeit nach der anderen. Als die Buddhisten vom Ortsverein Hannover und die Mitglieder der buddhistischen Jugendorganisation von der Überflutung der Keller erfuhren, kamen sie in die Pagode, um beim Aufräumen zu helfen. Es dauerte 5 Tage, bis der Keller ausgeräumt war. Man könnte dies als eine große Reinigungsaktion bezeichnen, denn in den Kellerräumen wurde seit 1991 nicht aufgeräumt und es lagerten sehr viele unbrauchbare Sachen herum. Der gesamte Schaden (Strom, Gas, Wasser, Heizung, Telefonverbindungen) bezifferte sich auf 100.000 DM. Doch bis heute (August 1999), d.h. mehr als ein Jahr später, hat die Versicherung immer noch nichts von sich hören lassen. Versicherungen sind sehr schnell, Geld vom Kunden zu kassieren. Doch wenn es um Schadenersatzzahlung geht, sind sie auf einmal sehr langsam und lassen sich viel Zeit. Warum ist das so? Mögen bitte die Herren Vertreter der Versicherungen mir eine Antwort geben. Wenn die Versicherungen das Vertrauen der Kunden haben wollen, müssen sie solche Probleme schneller und effektiver lösen können. Wenn die Versicherungen nur Gewinne für sich und Verluste für die Kunden haben wollen, wozu werden sie dann gegründet? Etwa nur um Gewinne zu machen? Oder Vorteile auf beiden Seiten zu erzielen? Ich bin kein Kaufmann und auch kein Wirtschaftsexperte; doch aus subjektiver Sicht, sollte denn nicht alles so sein, um von der Koexistenz in dieser Gesellschaft zu sprechen?

Nun ist alles vorbei. Der Keller ist längst aufgeräumt. Alles kehrt zu der alten Gewohnheit. Es gibt sehr viele neue Arbeiten; alte Probleme sollte man vergessen, um mehr Zeit für neue Ideen zu haben. Ich bin der Ansicht, was kommen muß, wird kommen; das alte sollte man gehen lassen. Kommen und Gehen sind die normalen Zustände im Leben. Es gibt dazu nichts zu begreifen, nichts was man sich später bereuen könnte, und nichts worüber man besorgt sein müßte.

Mein Arbeitstag dauert in der Regel 8 bis 12 Stunden. Davon verbringe ich 4 Stunden mit der Praxis der Buddhalehre. Diese 4 Stunden sind völlig rein und beruhigend für meinen Geist. In dieser Zeit werde ich von niemandem gestört, keine Telefonklingel, niemand, der mich aufsucht und um etwas bittet. Ich kann mich auf die Praxis der Buddhalehre und auf mein Inneres konzentrieren. Außer diesen 4 Stunden habe ich 2 Stunden für das Bücherlesen, 2 Stunden für das Schreiben und das Selbststudium. Das sind genau 8 Arbeitsstunden am Tag. Außer diesen 8 Stunden muß ich viel Zeit verbringen mit dem Beantworten der Telefonate, dem Empfang der Gäste, der Zeitungslektüre, dem Briefe lesen und beantworten, mit den Behördenangelegenheiten, mit der Koordination der Arbeiten im Kloster, mit dem Unterricht der Ordensschüler. Für alle diese Arbeiten brauche ich je nach Lage der Dinge nochmals 2 bis 4 Stunden. Insgesamt sind es also 10 bis 12 Stunden am Tag, die ich für die Praxis der Buddhalehre und die anderen Arbeiten aufbringe. Und so vergehen die Tage, Monate und Jahre, und das schon seit 1977.

Während der Klausurzeit habe ich mehr Zeit für die Praxis der Buddhalehre als in den anderen 9 Monaten. Dies heißt aber noch lange nicht, dass ich weniger Kontakte zu Buddhisten habe. Überall, wo ich hingehe und hinkomme, sehe ich nichts als 4 Wände und Laienbuddhisten. Ich bin oft im Auto und in Zügen unterwegs und habe so gut wie keine Freizeit für mich. Wohin ich auch komme, meistens kann ich nur einige Sehenswürdigkeiten besuchen. Ich glaube, dass ich das so weiter machen muß, bis zum Jahre 2002, dem Jahr des 25jährigen Jubiläums meines Aufenthaltes in Deutschland. Ich werde dann die Arbeiten auf meine Ordensschüler übertragen und verteilen. Im Jahre 2003 werde ich eine 25jährige Jubiläumsfeier für die Kloster-Pagode organisieren. Bis dahin werde ich den neuen Abt bestimmen, der für die Zukunft des vietnamesischen Buddhismus in Deutschland verantwortlich sein wird. Von 2004 an werde ich nur noch eine beratende Funktion übernehmen. Dann werde ich viel Zeit für die Schulung meines Geistes haben und mich auf das Studium des chinesischen und japanischen Tripitaka, die jeweils mehr als 500.000 Buchseiten umfassen, konzentrieren.


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